Folia Theologica 18. (2007)
Imre Koncsik: Synergetische Hermeneutik - Grundlagen und Perspektiven
84 I. KONCSIK Wirklichkeitsdeutung wiederum impliziert etwa für die Theologie eine „synergetische Dogmatologie". Mit einer synergetischen Hermeneutik bietet sich ein generalisierbares und zugleich spezifizierbares Deutemuster von Befunden und Gegebenheiten unterschiedlichster Provenienz. Eine mögliche Definition der Synergetik setzt etymologisch an: im reflexiven Fokus steht ein Zusammenwirken verschiedener regional allokierter Teile, das die singuläre Potenz der Einzelteile zur Koordination, Synchronisation und - um diese bereits verbrämte Floskel aufzugreifen - zur Selbstorganisation definitiv überschreitet. Anders formuliert: es fehlt eine hinreichende lineare Kausalität zwischen den Teilen; die Kausalitätskonjunktion der Teile bildet eine zwar notwendige, jedoch keinesfalls hinreichende Kondition für deren holistische, über die individuellen Limits hinaus reichenden Koaktion. Kraft des dadurch konstituierten „Plus" an mutualer Auf- einander-Abstimmungsmacht der Teile wird auch ein „Plus" an Effekten generiert, sprich: es entsteht etwas „Neues" und prinzipiell aus dem „alten" Ablaufmuster „Unableitbares". Wird das via Adaptation und Rekonfiguration evolvierende „Neue" stabilisiert, so entsteht sogar ein neuer Systemzustand. Das „Neue" impliziert auch die Installation neuer und in sich (relativ) geschlossener Deskriptionsebenen bzw. Beschreibungsperspektiven: jedem neuen Level kann ein genuiner Kanon von Eigenschaften und formalisierbarer Gesetzmäßigkeiten zugeschrieben werden. Die synergetische Hermeneutik unterscheidet sich signifikant von modernen Evolutionsthesen: sie erfordert keine „großen Mengen" an Elementen, zwischen denen selektiert wird, sondern bezieht sich eher auf Ablaufmuster, auf potentielle Koordinationswege, weshalb sie mit wenigen Elementen auskommt, an denen sich die synergetisch abgestimmte Bewegung bzw. Aktion vollzieht; damit ist zugleich gesagt, dass sie ihren Fokus auf die beinahe schon gra- tiale Interaktion von möglichen Wirkungen richtet, denen die am Konsensualisierungsgeschehen beteiligten Elemente „zugeordnet" werden, um sich in das selektierte Ablaufmuster einzupassen bzw. es autonom umzusetzen. Immer wenn eine quasi automatische Abstimmung, Harmonisierung und Vereinigung der Funktion von Elementen statt findet, die sich urplötzlich bzw. „wie von selbst" „ganzheitlich" und „geschlossen" verhalten, greift eine Erklärung