Folia Theologica 18. (2007)
Imre Koncsik: Synergetische Hermeneutik - Grundlagen und Perspektiven
FOLIA THEOLOGICA 18 (2007) 83 Imre KONCSIK SYNERGETISCHE HERMENEUTIK Grundlagen und Perspektiven Einleitung Was setzt eine Deutung der Wirklichkeit voraus? Nur die Angabe von sog. formalen Naturgesetzen, welche die faktische Entwicklung anhand determinierter Interaktionsverhältnisse beschreiben? Reicht es aus, physikalische Gesetze aus möglichst wenig Vorannahmen abzuleiten, um im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Vereinheitlichung die Wirklichkeit zu „verstehen"? Vielleicht ist jedoch eine Evolutionsthese erforderlich, welche nicht a priori appliziert werden kann, sondern a posteriori verfährt, sprich: sie ist fähig zur Retrogenose und nur in einem allgemeinen Rahmen auch zur Prognose. Wie dem auch sein mag: die bisher konstatierbare Absenz einer konsensfähigen Interpretation der Wirklichkeit zumindest in groben Grundzügen bildet wohl einen entscheidenden Grund für die Resignation mancher Wissenschaftler gegenüber einem konkreten interdisziplinären Diskurs. Der Impuls zu einem möglichen Ausweg aus der bestehenden Dilemma-Situation stammt m. E. von Naturwissenschaftlern, indem eine entscheidende Wirklichkeitsdeutung ins Feld geführt wird, anhand derer sowohl das interdisziplinäre Interaktionsverhältnis zwischen differenten Disziplinen als auch intradisziplinäre Kontexte näher bestimmt werden können. Die Rede ist von der Synergetik1 resp. einer - um es provokant zu betiteln - synergetischen Hermeneutik. Diese naturphilosophische 1 Der „Vater“ der Synergetik: HAKEN, H., Erfolgsgeheimnisse der Natur: Synergetik, die Lehre vom Zusammenwirken, Reinbek bei Hamburg 1995. Als konkrete Derivate des synergetischen Universalprinzips siehe: ders., Erfolgsgeheimnisse der Wahrnehmung: Synergetik als Schlüssel zum Gehirn, Frankfurt a.M. 1992; ders., Synergetic Computers and Cognition, Berlin u.a. 2005; ders., Die Selbststrukturierung der Materie: Synergetik in der unbelebten Welt, Braunschweig 1991; ders., Synergetik in der Psychologie. Selbstorganisation verstehen und gestalten, Göttingen u.a. 2006. Zum interdisziplinären Diskussionsstand siehe: GANOCZY, A., Der dreieinige Schöpfer, Darmstadt 2001.