Folia Theologica 16. (2005)
Otto Schwankl: Monotheismus im Neuen Testament
MONOTHEISMUS IM NEUEN TESTAMENT 171 Jesus zuwendet. Jesus zeigt und öffnet nicht nur den Weg zu Gott; er ist dieser Weg, und zwar der einzige Weg, auf dem der Mensch zu Gott und also Gott zum Menschen kommt; er ist der Offenbarer und die Offenbarung Gottes; er ist der offenbar gewordene Gott. Die Prädikationen der Ich-bin-Worte - Brot, Licht, Tür, Hirt, Weinstock, Weg, Wahrheit, Auferstehung, Leben - sind dabei mehr Bilder als Titel. Sie bezeichnen als elementare und umfassende Lebensgüter den Inbegriff dessen, was wir suchen und ersehnen. e) Jesus als Gott Die johanneischen Hoheitstitel sind großenteils bei den Synoptikern vorgegeben. Der vierte Evangelist aber übernimmt sie nicht nur, sondern legt sie neu aus, reichert sie mit zusätzlichen Beiklängen an und fügt ihnen weitere Titel hinzu. Daß auf diese Weise ein unübersichtliches Bild entsteht, mit Spannungen und Überschneidungen, scheint ihn nicht zu stören. Die Titel widersprechen sich in seinen Augen nicht, sondern müssen sozusagen zusammenhelfen, die unfaßbare Gestalt Jesu annähernd zu erfassen. Zu diesem Zweck werden alle verfügbaren Werkzeuge eingesetzt, die das Haus der Sprache zu bieten hat. Signifikant ist dafür der kühne Auftakt des Evangeliums. Er führt den, um den es geht, sofort mit zwei neuen Bezeichnungen ein: Àôyoç und Oeôç. Der präexistente Logos war vor aller Zeit bei Gott und war selber „Gott" (Kai Oeôç rjv ó Àôyoç; 1,1c). Dieser höchste aller Hoheitstitel für Jesus („Gott") taucht am Ende des Prologs noch einmal auf (povoyevry; in V.18)54 und ein weiteres Mal am Ende des Evangeliums (20,28). So rahmt die Bezeichnung sowohl den Prolog als auch das gesamte Evangelium. Wie in 10,30 („Ich und der Vater sind eins") ist die Formulierung sorgfältig auf das monotheistische Grundbekenntnis abgestimmt; in 1,1 vor allem durch den Unterschied im Artikelgebrauch, der leider im Deutschen so nicht möglich ist: Der Logos war seit jeher bei Gott (mit Artikel: Tipôç xöv Oeöv), also bei dem einen und eirtzigen Gott; und der Logos „war Gott" (ohne Artikel: Oeôç f|v), das heißt: der Logos ist „Gott" in seinem Wesen, aber weder identisch mit 54 Textkritisch zwar nicht gesichert, aber die wahrscheinlichere Lesart: vgl. z.B. U. SCHNELLE, Joh (s. Anm. 39) 29.