Folia Theologica 16. (2005)
Géza Kuminetz: Die kanonische Form im lateinischen und orientalischen Kodex
DIE KANONISCHE FORM 115 Diese Haltung hat nichts Kränkendes an sich und kann weder ähnliche Rechte anderer Religionen verletzen, noch das Prinzip der gegenseitigen Toleranz. Da die Bürger in der heutigen Gesellschaft ihre eigene Weltanschauung und Religion selbst wählen, und darauf bestehen, sich frei einer anderen anschließen zu können, wird keiner durch staatliche oder kirchliche Gesetze eingeschränkt. Wenn nun eine gesetzliche Vorschrift irgendeiner Religion eine Ehe für gültig hält, die einer ihrer Anhänger geschlossen hat, und die Eheschließung auch nach dem staatlichen Gesetz gültig ist, dann hat es keine weitere Bedeutung, was eine andere Religion über diese Ehe denkt, denn wer sie geschlossen hat, der hat sie gemäß der Vorschrift der selbst frei gewählten Religion geschlossen. Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass die Auffassung von der Ehe im weltlichen Sinne und in dem Sinne anderer Religionen von Grund auf anders ist, als die der Katholischen Kirche und praktisch die Auflöslichkeit der Ehe beinhaltet. Allmählich erkennen wir, dass wenn jemand irgendeine Ehe geschlossen hat, nicht eine eo ipso unauflösliche Ehe geschlossen wurde, sondern das Gegenteil davon. Wir kommen immer mehr zu der Erkenntnis, dass die Auflöslichkeit aus dem nichtkatholischen Bewusstsein,12 stammt. Wenn jemand dagegen unter diesen Umständen zur Katholischen Kirche kommt, der eventuell mehrere Religionen auf dem Weg der Suche nach der Wahrheit verlassen hat, wenn ein solcher Mensch zu der Katholischen Kirche kommt und seine frühere Auffassung ändert, wird er im subjektiven Sinne reif und auf den Empfang des Ehesakraments vorbereitet sein. Wenn die frühere Ehe für gültig erachtet wird, so kann sie in diesem Fall ohne weiteres auch von der zuständigen Autorität (can. 1161) durch Heilung in der Wurzel (sanatio in radice) gültig gemacht (convalidiert) werden. Wer schon bürgerlich geschieden ist, gilt in diesem Sinne als frei. Wieder würde ich sagen, es geht weder um Zwang, noch um Intoleranz, sondern um die wirkliche Anerkennung der Gewissensfreiheit des zu einer gegebenen religiösen Gemeinschaft gehörenden Gläubigen. Niemand darf gegen sein Gewissen dazu gezwungen 12 Siehe, In der Wissenschaft des kanonischen Rechts gibt es den Ausdruck ’error pervadens’, der genau diesen grundsätzlichen den Willen bestimmenden Irrtum bezeichnet.