Folia Theologica 15. (2004)
Hans Mendl: Ethikunterricht in Deutschland
FOLIA THEOLOGICA 15 (2004) 69 Hans MENDL ETHIKUNTERRICHT IN DEUTSCHLAND 1. Ethikunterricht „in deutschen Landen" - Problem Föderalismus „Wir sind schon durch ein Dutzend Fürstentümer, durch ein halbes Dutzend Großherzogtümer und durch ein paar Königreiche gelaufen, und das in der größten Übereilung in einem halben Tag, und warum?"1 spottet Valerio in Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena" (geschrieben 1836) über die deutsche Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts. Wurden im Zuge der Einheitsbestrebungen der letzten zwei Jahrhunderte vielfältige Probleme der vormaligen politischen Zersplitterung gelöst, so hielt man bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland nach dem II. Weltkrieg doch aus guten Gründen an einem starken föderalistischen Staatssystem fest. Das hat unmittelbare Folge für die Frage nach dem Ethikunterricht in Deutschland. Da Bildung Ländersache ist, gibt es nicht „den" Ethikunterricht in Deutschland, sondern viele verschiedene Konstrukte bezüglich eines schulischen Ethikunterrichts sowohl in Benennung und inhaltlicher Ausgestaltung als auch in Unter-, Gleich- oder Überordnung zum Religionsunterricht in deutschen Landen. Es mag die ungarischen Zuhörer beruhigen, wenn ich bekenne: Auch einem deutschen Religionspädagogen geht es wie Büchners Valerio: Man stolpert von Bundesland zu Bundesland dahin über je andere Konstellationen eines Ethikunterrichts. Die Unübersichtlichkeit wurde zudem durch die deutsche Wiedervereinigung nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989 gesteigert: Im Gebiet der ehemaligen DDR gab es keinen schulischen Religionsunterricht; die Bevölkerung gehört nach wie vor mehrheitlich keiner Kirche an, so dass Ostdeutschland als „Epizentrum"2 des kirchlichen Katastro1 G. BÜCHNER, Werke und Briefe, München 8. A. 1987, 104 (Leonce und Lena. Ein Lustspiel, II. Akt, 1. Szene) 2 Eberhard Tiefensee, Religiös unmusikalisch? Folgerungen aus einer weithin krisenfesten Areligiosität, in: KatBl 125 (2000), 88-95, hier 88f.