Folia Theologica 15. (2004)
Géza Kuminetz: Die Garantien der freien Handlung im kanonischen Recht mit besonderer Rücksicht auf das Recht zur freien Wahl des ehelichen Lebensstandes
DIE GARANTIEN DER FREIEN HANDLUNG 59 Schließlich müssen die Gläubigen auch als die Adressaten des Gesetzes ihrem Gewissen nach ihre Rechte zur Geltung bringen, ihre Pflichten erfüllen und ihren Lebensstand wählen. Sie müssen in Erwägung ziehen, worin in dem bestimmten Fall die gute, angemessene und zielführende Handlung besteht. Nur mit dieser Grundeinstellung wird das Rechtssystem zum wirksamen Diener des Heiles der Seelen. Das Rechtssystem dient nicht dazu, unser Recht unter allen Umständen einzufordern, da dies oft zu den größten Ungerechtigkeiten führt. Das Rechtssystem dient nicht dazu, dass wir mechanisch nur darauf achten, in welchem Falle ein Akt wirksam ist, oder in welchem Falle etwas Gesetzwidriges passiert, weil man mit solch einer Methode schwerlich eine sinnvolle Entscheidung treffen kann. Die ganze kirchliche Disziplin möchte letzten Endes der gewissenhaften, menschenwürdigen Handlung dienen, unabhängig davon, welches Amt auch immer jemand in der Kirche trägt und welchen in der Welt lebenden Gläubigen auch immer sie lehrt. Betrachten wir das Verhältnis des Gewissens und des Rechtssystems aus der Nähe, so kommen gewöhnlich die folgenden Themen zur Sprache: das Verhältnis des forum internum zum forum externum, die Freiheit des Eintritts in die Kirche, der sogenannte „Austritt aus der Kirche" als Gewissensfrage und als Problem im Verhältnis zum kanonischen Recht, die Erziehung des Gewissens, die freie Wahl des Lebensstandes und überhaupt das Verbürgen der freien, d. h. dem eigenen Gewissen entsprechenden Handlung. Im Gegensatz zur Moral, die den Menschen nur ermutigen kann, dem Zwang, der Einschüchterung, der Sünde zu widerstehen und die Zeichen der Zeit und die sein Leben beeinflussenden Faktoren klug zu erwägen, hat das Rechtssystem die Möglichkeit, eine rechtlich bedeutsame Handlung zu untersuchen und diese Handlung (1) als nicht zustande gekommen oder (2) als wirksam, aber annullierbar oder (3) als im Grunde unwirksam zu erklären (weil sie z. B. durch eine nicht zuständige Person durchgeführt wurde). (4) Das Rechtgeschäft kann auch als unwirksam erklärt werden. Eine wirksame Handlung kann an besonderen Formalitäten gebunden werden.1 Dadurch verbürgt das Rechtssystem die Freiheit der 1 ERDŐ, P., Egyházjog, Budapest 2003, 146.