Folia Theologica 15. (2004)

Géza Kuminetz: Die Garantien der freien Handlung im kanonischen Recht mit besonderer Rücksicht auf das Recht zur freien Wahl des ehelichen Lebensstandes

58 G. KUMINETZ rer Lebensauffassung entsprechend ihrem erwachsenen und reifen Glauben zu helfen, andererseits aber ihnen die Möglichkeit der frei­en, d. h. gewissenhaften Entscheidung und Handlung zu garantie­ren. Deshalb muss der Gesetzgeber frei, ohne äußeren Zwang, mit in­taktem Geist, entsprechend seinem Gewissen entscheiden, ob er ein rein kirchliches Gesetz einführt, ob er etwas an einem Gesetz än­dert, ob er ein Gesetz außer Kraft setzt, oder etwa einen Bereich des kanonischen Rechtes im Ganzen neu ordnet. Bevor er eine Ent­scheidung trifft, arbeitet er meistens verschiedene Gesetzentwürfe aus, da von dem Gesichtspunkt des göttlichen Rechtes und der Grundprinzipien viele konkrete Lösungen möglich sind. Aber man kann normalerweise nur eine Lösung auswählen und sie mit Geset­zeskraft ausstatten: Offensichtlich können z. B. nicht zwei Gesetze über die Wahl des Papstes gleichzeitig in Kraft sein, denn das wür­de alle entsprechenden Handlungen unmöglich machen. Oben­drein muss dieses oberste Amt so bald wie möglich besetzt werden, denn ohne sichtbaren Kopf erleidet die Kirche schweren Schaden. Der kirchliche Richter muss auch eine gewissenhafte Entschei­dung treffen, wenn er ein Urteil fällt. Dementsprechend darf er sein Urteil erst fällen, wenn er zur Gewissheit gelangt ist, dass eine gegensätzliche Entscheidung im moralischen Sinne ausgeschlossen ist. Es liegen Möglichkeiten vor, Rechtsmittel zu ergreifen, falls z. B. eine Partei das Urteil für ungerecht (Nichtigkeitsbeschwerde, Beru­fung) oder den Richter für befangen hält (Befangenheitseinrede) oder wenn ein offenbar ungerechtes Urteil entstanden ist (Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand). Ähnlich muss jedes kirchliche Organ als Adressat des kirchli­chen Gesetzes das Gesetz gewissenhaft anwenden. Beim Treffen seiner Entscheidungen muss es alle notwendigen Informationen beschaffen und muss sie auch in Erwägung ziehen in bezug auf die Frage, ob seine Entscheidung das ist, was die Alten salutare nann­ten, also heilsam, nützlich und zielführend ist. Er soll beim Treffen seiner Entscheidung nicht befangen sein, er darf niemanden unge­rechtfertigt vorziehen, er muss unbestechlich sein. So wird das ka­nonische Recht nicht nur die Kunst des Guten und des Angemesse­nen, sondern auch des Nützlichen.

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