Folia Theologica 15. (2004)
Christian Göbel: Philosophie des Mönchseins
26 Ch. GOBEL be widmet und einen bestimmten Weg des ,Bildungsfortschritts' vorgeben will. Zum der sokratisch-platonischen Dialektik ähnlichen Problem wird die gezeigte Struktur des evagrischen Textes dann, wenn sie dem einzelnen Mönch, der die Sprüche des Ad Monachos meditiert oder anhand ihrer auf seiner geistigen Reise geleitet wird, nicht bewußt ist. Und genau das ist höchst wahrscheinlich. Hinweis darauf ist schon die Tatsache, daß die einem vorgeplanten Schema entsprechende bewußte Formung des Werkes, die den Schüler in eine bestimmte Richtung führen soll, erst vor wenigen Jahren durch Driscoll erkannt wurde. Aber auch der Umkehrschluß von der gewöhnlichen Form der Kephalaia spricht nicht dagegen. Diese sind ja gerade als unverbundene Kapitel bekannt, die zumeist nur aus einzelnen Merk- oder Lehrsätzen bestehen, Bibelverse, Vätersprüche und eigene Reflexionen aufnehmend, und besonders in der späteren monastischen Tradition den Brüdern zum Meditieren vorgelesen wurden. Desdier beschreibt, wie z.B. der libysche Abt Tha- lassios (um 650) jeden Tag seinen wichtigsten Gedanken niederschrieb56. Immer wenn 100 Tage um waren, wurden die entstandenen Sprüche zu einem ,fertigen Werk', einer „Centurie", zusammengefaßt. Dieses hatte folglich keine logische Struktur, die Sprüche folgten einfach der Willkürlichkeit des täglichen Einfalls. Den Brüdern nun kam ein derartiges Werk ohne inneren Zusammenhang sehr entgegen - sie hätten mangels Bildung einem komplexeren Aufbau nicht folgen können. So aber hatten sie jeden Tag einen Satz, den sie als solchen bedenken konnten; zudem wiederholten sich die wichtigsten Gedanken häufig, da sich auch das Denken des Verfassers immer wieder um die gleichen Kernideen drehte. Das Werk des Evagrius dagegen scheint durch seine überlegte Formgebung nicht nur vom Verfasser, sondern auch vom Leser eine gewisse Bildung vorauszusetzen. Und unbestreitbar ist besonders in der Frühzeit des Mönchstums die (philosophische) Vorbildung jener, die auf ihrem Weg zur Weisheit im Christentum eine Alternative zu den zunehmend als Enttäuschung empfundenen traditionellen Philosophien suchten57. Aber: auch im Falle gebildeter Leser meint Driscolls Feststellung, Evagrius wolle, daß sein Leser das Arrange56 Nach IVANKA, a.a.Ó., 286 57 Berühmtestes Beispiel ist hier natürlich Augustinus.