Folia Theologica 15. (2004)

Christian Göbel: Philosophie des Mönchseins

PHILOSOPHIE DES MONCHSEINS 27 ment des Textes entdecke, eben nicht, daß er sich von vornherein bewußt wäre, wie Etappen und Anlage des vorgeplanten Weges im Ganzen aussehen. Vielmehr geht es inhaltlich um die einzelnen Schritte dieses Weges an sich, um „Arbeit mit dem Text und Ein­üben der Inhalte der verschiedenen Sentenzen"58, auch um ein Ver­weilen und eine Rückschau auf das Erreichte; nicht aber darum, das Ganze des vorbestimmten Führungsweges in den Blick zu be­kommen - es wäre wahrscheinlich sogar hinderlich in der Konzen­tration auf die Entdeckung der christlich-mystischen Geheimnisse. Die Komposition dieses Weges geistlichen Fortschritts erschließt sich - wie im Falle der Dialektik und Diairesis Platons - erst vom Ziel her, welches dem Führenden (bzw. dem Autor eines der geistli­chen Führung zugrundeliegenden Textes wie Ad Monachos) von Be­ginn an klar war und zu dem er den Weg gesucht hat, der ihm am geeignetsten erschien. Die Gegenüberstellung der Dialektik des platonischen Sokrates und des Weges der monastischen Seelenführung, am Beispiel von Evagrius' Werk Ad Monachos, zeigt: es handelt sich hier um zwei Methoden der Führung Jüngerer, zwei Wege der Bildung, die nicht nur eine generelle historisch-kulturelle Verwandtschaft aufweisen, sondern auch im Stil insofern Übereinkommen, als sie ein Ziel su­chen, das dem Führenden von vornherein klar ist. Entsprechend kann dem Schüler, ohne daß ihm dies so bewußt wäre, ein wohl überlegter Pfad des Lernfortschritts vorgegeben werden. Der Un­terschied, daß es im Falle des Sokrates zu einer direkten Leh- rer-Schüler-Interaktion kommt, während Ad Monachos zunächst nur indirekte Führung des es Lesenden und Meditierenden ist, ist dabei unwesentlich59. Zudem entstehen die Worte des Evagrius aus einer ersten Dimension seines Lehrens, dem Gespräch mit Schülern bzw. jüngeren Mönchen, wenn auch das fertige Werk Ad Monachos selbst Teil der zweiten, nämlich schriftlichen Dimension monastischen Lehrens ist. Im Prozeß vom mündlich gegebenen Wort bis zum fer­tigen Text sinnt Evagrius den Worten nach, die er dem Jüngeren 58 DRISCOLL 1993, 3 (s. Anm. 14) 59 Außerdem bleibt in beiden Fällen auch die jeweils andere Form möglich. So wird die platonische Dialektik durch ihre Niederschrift späteren Generationen zum Leseerlebnis, während Ad Monachos auch als Grundlage der ,lebendi­gen' Formung junger Mönche im Gespräch mit Älteren dienen kann.

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