Folia Theologica 15. (2004)

Helmuth Pree: Das Gewissen vor dem Forum des Kirchenrechts

DAS GEWISSEN VOR DEM FORUM DES KIRCHENRECHTS 99 die Dissimulation. Von diesen auf der rechtlich-öffentlichen Ebene wahrnehmbaren Rechtsinstituten unterscheidet sich die Epikie. Sie ist moraltheologischer, nicht rechtlicher Natur. Sie ist das Gewis­sensurteil des Normbefolgers in einem Einzelfall, demzufolge eine Rechtsnorm, obwohl sie auf den Fall zutrifft, dennoch aus besonde­ren Gründen nicht anwendbar sei. Epikie bedeutet daher Rückgriff auf eine auch für das Gewissen relevante höhere Gerechtigkeit. Sie ist Anerkennung der Würde des Gewissens wenigstens auf der Ebe­ne der Moral.8 9 Sie ist Ausdruck der Wahrheit, dass das Recht (auch jenes der Kirche) bleibend begrenzt ist gegenüber komplexen mora­lischen Konfliktsituationen. Das kirchliche Recht steht im Dienste der salus animarum. Dementsprechend muss das Gewissensurteil ei­nen besonderen Stellenwert einnehmen. Dieses aber entzieht sich einer, dem Recht möglichen, äußeren Ordnungs- und Kontroll- funktion. Die moralische Verwirklichung ist auf eine ständige Ent­grenzung ihrer selbst (im Sinne des biblischen Radikalismus der Bergpredigt) angelegt. Daher muss kirchliches Recht sich der be­grenzten Reichweite und Dienstfunktion bewusst bleiben. 4. Die Bedeutung der Grundregel gern. c. 130 CIC/c. 980 § 2 CCEO Leitungsgewalt wird an sich im äußeren Bereich ausgeübt, bis­weilen aber nur im inneren Bereich, und zwar so, dass die Rechts­wirkungen, die die Ausübung dieser Gewalt ihrer Natur nach im äußeren Bereich hat, in diesem nur anerkannt werden, sofern dies für bestimmte Fälle im Recht festgesetzt ist (c. 130). Das Kirchenrecht unterscheidet seit dem Mittelalter zwei fora, um die Ausübungsweise kirchlicher Vollmacht nach dem Kriterium zu dif­ferenzieren, ob die Ausübung in öffentlicher Weise (beweisbar durch actus publici) und im öffentlichen, gemeinschaftlichen Interesse er­folgt und von jedermann zu beachtende Rechtswirkungen erzeugt, oder ob sie - mit Rücksicht auf die individuelle Gewissenslage und in Anerkennung eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen (vgl. c. 220 CIC/c. 23 CCEO) - geheim (nicht beweisbar) 8 Zur Würde des Gewissens vgl. Enzyklika Veritatis Splendor vom 6.8.1993, Nr. 54-64. 9 Ausführlicher hierzu: PREE, Forum Externum und Forum Internum (Anm. 2) 27-36.

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