Folia Theologica 14. (2003)

Mihály Kránitz: Die Annäherung der Religionen aus Christlicher Sicht und der Pluralismus der Religionen

DIE ANNAHERUNG DER RELIGIONEN 65 siert. Eine gewisse Konkretisierung geht in den religiösen Traditio­nen der Menschheit vor sich, in denen sich die übernatürlich erho­bene, ihnen innewohnende kategóriáié Vermittlung verkörpert. Auch das christliche Mysterium findet in der menschlichen Per­son seine Wurzeln und seine spezifische Rolle hier. Die menschli­che Person ist zur gleichen Zeit Ort und Ereignis der in Jesus Chri­stus gegebenen göttlichen Selbstäußerung. In ihm hat Gott ge­schichtlich und endgültig seine Selbsthingabe in der Gnade und in der Vergebung an die Menschheit erfüllt. Die menschliche Person kann die Suche nach Gott nicht initiieren, denn die in Jesus Chri­stus gegebene göttliche Selbsthingabe ist der Quell für uns zur Auf­findung von Gott. Der Heilige Augustinus formuliert so: „Du wür­dest mich nicht suchen, wenn ich dich nicht gefunden hätte". Aus dem Gesichtspunkt der christlichen Offenbarung ist die Geschichte des Heils, die sich in Jesus Christus erfüllt, koextensiv mit der Geschich­te der Welt.11 Im Laufe der Geschichte der Menschheit erfährt jede Person das Angebot der göttlichen Gnade, für das er sich mit der freien Tat der Annahme eröffnen soll. Ob thematiziert, oder nicht im verwirklicht sich in Jesus Christus, dieses Angebot und das Ge­schenkte der Gnade im Bewusstsein der Person konkret und exi­stenziell. Was ist nach all dem unter „anonyme Christen" zu verstehen? Der Ausdruck weist auf die universale Anwesenheit des Mysteri­ums Jesu Christi, nicht auf das von der christlichen Gemeinschaft verstandene Christentum, in dem man den christlichen Glauben ausdrücklich bekennt. Das anomyme Christentum bedeutet, dass das Heil in Jesus Christus für jede menschliche Person zu erreichen ist, in einer beliebigen geschichtlichen Situation, unter der Bedin­gung, dass sie, zwar verborgen, sich für die in Jesus Christus gip­felnden Selbstäußerung Gottes eröffnet. Dies bedeutet auch, dass sie nicht von einer sichtbaren Tat des auferstandenen Herrn er­reicht werden, sondern es geschieht durch die Vermittlung der reli­giösen Tradition, zu der sie gehören. Das ist also ein anonymes oder implizites Christentum, und es gibt auch ein explizites, ausge­11 RAHNER, K,., Weltgeschichte und Heilsgeschichte in Schriften zur Theologie V, Benziger, Einsiedeln 1962, 115-135.

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