Folia Theologica 14. (2003)

Pál Bolberitz: Providenz als Mitleid Gottes

PROVIDENZ ALS MITLEID GOTTES 17 haben an der Not und dem Leiden anderer Menschen. Dabei taucht erneut die Frage auf, ob es in Gott Gefühle sein könnten, da das Ge­fühl nicht eine reine, sondern eine sog. gemischte Vollkommenheit (perfectio mixta) ist und ob als solches - indem es auch Unvollko- menheit trägt - mit der absoluten Geistigkeit und Vollkommenheit Gottes vereinbart werden kann. Das Problem scheint gelöst zu sein, indem wir die Versuchung der Projektion umgehen. Auf keine Wei­se dürfen die menschlichen Eigenschaften und Gefühle auf Gott projiziert werden, nicht einmal durch die Erhöhung der Vorzüg­lichkeiten (per viam eminentiae), höchstens durch die absolute Er­höhung (per viam eminentiae, perfectissimo modo). Gott ist näm­lich die Liebe23 und die Liebe des Menschen (und deren zusätzliche Tugenden, wie auch das Mitleid und das Beileid sind) hat an der vollkommenen Liebe Gottes bloss auf analoge Weise teil. Nicht der Mensch (oder die Menschheit, oder die Menschlichkeit und die menschliche allgemeine Vereinbarung), sondern Gott ist daher das Mass. Demzufolge kann man verstehen, dass das Mitleid Gottes (die Äusserung seiner Liebe) in seinem Wesen seiner Volkommen- heit nach und nicht seinem Mangel (privatio) bezw. seiner Unvoll- komenheit (imperfectio) nach existiert. Das Leiden des Menschen lässt Gott nicht teilnahmslos (indifferentia), er ist nicht unempfind­lich gegen das menschliche Leiden (apatheia), aber sein, dem Men­schen geschenktes Mitleid, beruht nicht auf einer gefühlsmässigen Sympathie. Das Mitleid Gottes ist sein freier Akt, der ein von allem Zwang befreiter, vollkommener Liebesakt ist. Eben deswegen ist Gottes Mitleid dem Menschen gegenüber eine die Unvollkommen­heit des Leidens ausschliessende, vollkommene Empathie, d.h. „Mitleid ohne Leiden" (compassio sine passione). Dieses Thema wurde in der Zeit des Modernismus vom Baron Friedrich von Hü­gel zutreffend behandelt. Seines Erachtens bedeutet das aktive Mit­leid nicht notwendigerweise auch Leiden. „P. Damian brauchte nicht aussätzig zu sein, um die Aussätzigen zu lieben. Er hat sie ver­standen, und er zeigte sich teilnahmsvoller gegenüber ihrem Elend, als die Aussätzigen gewöhnlich untereinander waren. Die Fülle seiner Vorstellungskraft und das Vermögen seiner Empfindlichkeit ersetzten wohl seine persönlichen Erfahrungen. Um wie mehr muss Gott in die Sorgen seiner Geschöpfe eindrigen, 23 Vgl. Joh I. 4, 16

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