Folia Theologica 11. (2000)

Imre Koncsik: Ist Theologie überhaupt eine Wissenschaft? - Ein Dialog mit Gustav Siewerth

60 I. KONCSIK Seiendes niemals ganzheitlich, sondern immer nur ganz erfassen29 30. Äquivalent umformuliert: der Mensch erfaßt die Seienden immer nur analog-einheitlich, weil alle Wirklichkeit - das Sein der Seienden - analog strukturiert ist. 1.2. Unabgeschlossenheit und Offenheit der Wissenschaft Die apriorische Wahrheit - das Sein - wird aposteriorisch erzeugt und bewährt, weil sie apriorisch gesetzt ist31. Der Satz muß vor jeder Reduktion auf das apriorische oder aposteriorische Element geschützt werden. Die apriorische Wahrheit garantiert die Objektivität bzw. Trans­subjektivität jeder Wissenschaft als systematisches und evidentes Aufdecken der Wahrheit32. Die aposteriorische Wahrheit ermöglicht die permanente subjektive Einigung des wissenschaftlich forschenden Gei­stes auf die Wahrheit hin. Folge: keine Wissenschaft kann jemals abge­schlossen sein oder in einer stupiden Wiederholung bekannter Fakten verenden. Eine Analogie verdeutlicht das Ineinander bzw. die Einheit von Apriori und Aposteriori: der Kreis ist apriorisch vorgegeben, das Kreisen ist der aposteriori­sche Vollzug des Kreises33. Durch das Kreisen wird der Kreis als solcher offen­bar und enthüllt34. Freilich trifft der Vergleich nicht univok auf die Wissenschaft als Kreisen zu: der ,Kreis“ der Wahrheit ist prinzipiell unabschließbar und offen auf Neues hin35. Das Kreisen generiert nicht mehr den Kreis, sondern eine unend­liche Spirale als Ausdruck ewiger Aufwärtsbewegung des forschenden Geistes. Warum ist die Spirale unendlich? - Weil es für die Unendlichkeit des Seins steht, 29 Ders.: Grundfragen (1963), S. 142, 257; Thomismus (1961), S. 104. 30 Denn nach SIEWERTH, G., Schicksal (1959), S. 397, 401; André (1959), S. 29-30, 57; Grundfragen (1963), S. 22; Hinführung (1965), S. 66 gilt: „das Ganze ist mehr als die Teile” 31 Ders.: Thomismus (1961), S. 105. 32 Das ist das primäre Thema von SIEWERTH, G., Apriorität (1933) 33 Ders.: Willensfreiheit (1954), S. 73: „Der in sich kreisende Kreis der gegen­seitigen Bestimmungen... hat daher kein Früheres oder Späteres, da sich je­der Bezug umkehren läßt.” 34 Ders.: Gott (1971), S. 114: „Die Differenz ist aus der Einheit erwaltet, und zwar so, daß sie als Ausfaltung oder als Seinsweise des Einen und Selbigen hervortritt. Die Einheit ist nur durch den Unterschied das, was sie ist... Das Hervortreten der Differenz gibt es nur im Ereignis oder Akt ihrer gleichur­sprünglichen Aufhebung ins Einige des Ganzen und Gründenden. Das Ver­schiedene bleibt im Einfältigen geeinigt. Die Ausfaltung ist wie ein Kreis, der in jedem Moment alles Teilhafte im Selbigen seines Mittelpunktes wie... im Einigen seines Kreisseins hält.” 35 Ders.: Sein als Gleichnis (1958), S. 74.

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