Folia Theologica 11. (2000)
Imre Koncsik: Ist Theologie überhaupt eine Wissenschaft? - Ein Dialog mit Gustav Siewerth
IST THEOLOGIE ÜBERHAUPT EINE WISSENSCHAFT? 61 das niemals durch ein konkretes Seiend-sein ganz erfaßt werden kann. Das Sein wird immer analog im Seiend-sein realisiert, weil die ontologische Differenz nicht auf eine Identität zwischen Sein und Seiendem reduziert werden darf. Folglich endet weder die aposteriorische Bewegung des Seienden noch die apriorische Vorgabe, weil das instantan den Zusammenbruch der Spirale bedeuten würde. Vielmehr ist die unvermischte und ungetrennte Einheit beider identisch mit der analogen Einheit des Seins.16 Der Grund der relativen Unabschließbarkeit und des unaufhebbaren Mangels an umfassender Einheit einer Wissenschaft kann ontologisch angegeben werden: das Sein differenziert sich selbst, indem es durch immer neue Setzung von Differenzen neues Seiend-sein generiert. Die Dif•3 Q ferenzierung bedeutet einen geschichtlich-evolutiven Prozeß' . Er ist Folge der permanenten dynamischen Einigung des Seienden auf immer neue Modi der Einheit mit dem Sein hin . Das Seiende versucht die Differenz zum Sein immer neu als Modus seiner Einheit mit dem Sein zu integrieren. Die Einigung gelingt nur schöpferisch, also durch Aktivierung des Schöpferseins des Seienden. So muß der forschende Geist schöpferisch tätig werden und sich selbst aktivieren, um zur Einheit mit seinem Sein zu gelangen und sich zu verwirklichen36 37 38 39 40. Hört er auf, schöpferisch zu sein, so verliert er instantan seine Einheit mit dem Sein und wird nichtig bzw. nicht-seiend. Folge: das Schöpfersein muß immer aktiviert werden41, weil das Seiende in das Sein „geworfen” und durch die Liebe zum Sein ermächtigt und begabt ist42. 36 Ders.: Thomismus {1961), S. 105. 37 Die Einheit einer Wissenschaft wäre dann umfassend, wenn alles Mögliche ihres Gegenstandsgebiets untersucht, erforscht, entfaltet und mit relativer Inkonsistenz entsprechend ihrer Nichtigkeit bzw. Angewiesenheit auf andere Wissenschaften begründet ist. 38 Ders.: Thomismus (1961), S. 134. 39 Ders.: Gott (1971), S. 118-122: Gott „hat das Bestehende in der Seinsdifferenz seines Bestandes zu behüten und zugleich in das Geschehen (in Geschick und Schickung) der Einigung zu stellen” (118). Die ontologische Differenz wird demnach durch dynamische Einigung positiv und permanent als Modus der Einheit realisiert. 40 Ders.: Sein als Gleichnis (1958), S. 56-57. 41 Ders.: Thomismus ( 1961), S. 110. 42 Ders.: Hinführung (1965), S. 45. Vgl. zur begabenden Kraft der Liebe: Leib (1953), S. 54, 69; Willensfreiheit (1954), S. 75; Kindheit (1963), S. 25, 80, 121; Wagnis (1964), S. 57-58, 83-89; Freiheit (1959), S. 47, 57; Sprache (1963), S. 125; Grundfragen (1963), S. 122.