Folia Theologica 11. (2000)

Imre Koncsik: Ist Theologie überhaupt eine Wissenschaft? - Ein Dialog mit Gustav Siewerth

IST THEOLOGIE ÜBERHAUPT EINE WISSENSCHAFT? 57 eines ursprünglichen Begreifens des Seins8 9. Das wird am deutlichsten am Begriff des Seins selbst manifest: das Sein als reiner Begriff ist gerade kein Sein10. Es liegt ein interner Selbstwiderspruch vor, weil der Begriff des Seins das, was es eigentlich aussagt und wodurch es überhaupt verständlich wird, als .reiner“ Be­griff negieren würde11. Jeder Erkennende besitzt eine apriorische Grundausstattung von Kategorien und Prinzipien, die nicht negiert werden können, ohne sie hintergründig voraus­zusetzen. Sie sind nicht aus sich selbst heraus begründbar, sondern Ergebnis der Einbettung des Menschen in die Einheit mit aller Wirklichkeit, also in das Sein12. Nur weil der Mensch vom Sein aller Seienden in einem ursprünglichen Sinn weiß und sich des Seins versichert ist, kann er Seiendes als solches begreifen13. Nur wenn er in ursprünglicher und nicht negierbarer Einheit mit den Seienden und darin in Einheit mit dem Sein aller Seienden steht, kann er überhaupt eine Diffe­renz zu ihnen festellen. Nur wenn diese Einheit vorausgesetzt wird, kann sie im Nachhinein negiert oder zugunsten einer starken Differenz relativiert werden, wie es etwa Immanuel Kant tut. Der Mensch findet sich demnach immer schon im Sein und seiner Wahrheit im Sinn seiner Eröffnung und Offenheit vor14. Das ist die absolute apriorische Vor­aussetzung, die nicht negiert werden kann, ohne unter der Hand hintergründig dennoch vorausgesetzt zu werden15. Menschliche Erkenntnis vollzieht sich - abgesehen von weitergehen­den möglichen Differenzierungen - nach einem festen Schema. Kraft sei­ner Seinsversicherung generiert der menschliche intuitiv operierende Geist in Kooperation mit dem begrifflich arbeitenden Verstand perma­nent Hypothesen. Sie müssen sich als reine Setzungen des Menschen erst 8 Ders.: Grundfragen (1963), S. 22; Thomismus (1961), S. 55. 220. 9 Ders.: Sprache (1963), S. 86; Abstraktion (1958), S. 38-39; Thomismus (1961), S. 72. Sein als Gleichnis (1958), S. 26: Beim Sein wird gedacht „we­senhaft und von Grund aus das In-sich-sein oder die Subsistenz der Seienden wirklichen Dinge.... Wer daher das Sein oder das Seiende denkt, ist daher immer urteilend bei den Dingen und niemals bei seinen Begriffen. Also gibt es vom Ursprung unseres Denkens keinen Seinsbegriff, sondern nur ein ur­teilendes Seinsbegreifen”. 10 Ders.: Willensfreiheit (1954), S. 41. 11 Ders.: Sein als Gleichnis (1958), S. 25-26. 12 Ders.: Grundfragen (1963), S. 23; Analogie (1965), S. 110-111; Thomismus (1961), S. 63. 13 Ders.: Analogie (1965), S. 60. 14 Ders.: Grundfragen (1963), S. 20: daher muß das „Wesens-und Seinsmaß” aller Erkenntnis „in der Form des vollendeten Urteils, also in der Weise ei­ner Vernunfteinsicht immer schon gegeben” sein. 15 Ders.: Auseinandersetzung (1979), S. 327.

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