Folia Theologica 11. (2000)

Imre Koncsik: Ist Theologie überhaupt eine Wissenschaft? - Ein Dialog mit Gustav Siewerth

58 I. KONCSIK bewahrheiten. Wie geschieht das? - Indem sie am Maßstab der Wahrheit des Seins gemessen werden: eine Hypothese gilt als verifiziert, wenn sie wirklichkeitskonform ist16 17. Sie gilt als falsifiziert, wenn sie der Wirklich- keit widerspricht. Das erste Urteil des Denkens ist negativ : es schließt den Widerspruch zwischen Sein und Nichtsein zugunsten der Dominanz des Seins aus18. Die Festigkeit und Subsistenz des konkreten Seienden vermittelt diese Ureinsicht in den Sinn des Seins19. Der Primat der Ontologie läßt sich auf den Satz bringen: die Wirklich­keit setzt sich durch20. Der Mensch ist an diesen Primat apriorisch und aposteriorisch gebunden, weil er selbst in der Wahrheit des Seins steht: im Maß der absoluten Wahrheit und Offenheit des Seins erzeugt er seine Wahrheit21. Diese Wahrheit ist analog zum Sein: jede wissenschaftlich verifizier­te Hypothese enthüllt analog etwas von der Wirklichkeit bzw. vom Sein. Immer wird ein partieller Bereich des Seins an einem Seienden aufge­deckt. Immer hält sich der Erkennende in der Analogie des Seins. So kann z.B. eine Pflanze als Kohlenstoffeinheit, als grünes Gebilde, als che­mischer Reaktionsapparat etc. erfaßt werden. Jede Erfassung ist korrekt, da sie spezifischen analogen Hinsichten entspricht. Sie darf jedoch nicht verabsolutiert werden: die Pflanze ist nicht nur eine Kohlenstoffeinheit, ein grünes Gebilde etc. Wird eine Hinsicht dennoch verabsolutiert, so tritt eine Verwischung der analo­gen Differenzen auf. Die analoge Einheit der Pflanze wäre reduziert und zerstört. Man beachte: eine Reduzierung durch Verabsolutierung einer isolierten partiellen Hinsicht ist nur möglich wegen der apriorisch vorangehenden Einheit aller Hin­sichten. Sie müssen, um wahr zu sein, ontologisch entfaltet, d.h. am realen Sein der Pflanze gemessen werden. Anders formuliert: der ursprünglich zugängliche Phänomenreichtum als Folge der unmittelbar intuitiv erfaßbaren Einheit des Seins der Pflanze muß konsequent und irreduziert ,sein gelassen1 werden. 16 Ders.: Sein und Wahrheit (1975), S. 323. 17 Ders.: Schicksal (1959), S. 336. 18 Ders.: Sprache (1963), S. 20. 90; Schicksal (1959), S. 44, 255; Thomismus (1961), S. 172, 189; Vernunft (1963), S. 777; Grundfragen (1963), S. 37, 104-105: denn das positive Sein widersetzt sich „der ihm entgegengehalte­nen Möglichkeit des Nichtseins und tritt daher in der Helle der Vernunft als Nicht-nicht-sein hervor.” 19 Ders.: Grundfragen (1963), S. 105. 20 Nicht wörtlich, sondern sinngemäß in: SIEWERTH, G., Auseinandersetzung (1979), S. 328. 21 Ders.: Sein und Wahrheit (1975), S. 324.

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