Folia Theologica 11. (2000)
Imre Koncsik: Ist Theologie überhaupt eine Wissenschaft? - Ein Dialog mit Gustav Siewerth
56 I. KONCSIK Wirklichkeitsbezug. Beide Forderungen implizieren sich, wobei der Wirklichkeitsbezug das oberste Kriterium ist. Daher bietet es sich an, Gustav Siewerth's Ansatz näher zu analysieren. 1.1. Wirklichkeit als Maßstab der Wissenschaft Wissenschaft soll verifizierbare neue Erkenntnisse erbringen. Worin besteht eine Erkenntnis? Kann ein legitimes Kriterium für alle Wissenschaften gefunden werden? - Nach Siewerth1 basiert Erkenntnis auf Wahrheit. Wahrheit wird ontologisch in Absetzung zur formalen Richtigkeit oder logischen Widerspruchlosigkeit verstanden, nämlich als Offenbarung von Wirklichkeit. Wann offenbart sich denn Wirklichkeit? - Wenn eine Gegebenheit begründet wird, also auf einen tragenden Grund zurückgeführt wird. Allgemein gilt: ein Seiendes wird auf sein Sein als seinen tragenden Grund zurückgeführt2 3. Das gelingt nur analog, weil das Sein nicht mit dem Seienden identisch, sondern analog eins ist . Wird die analoge Rückführung realisiert, so liegt Erkenntnis als Offenlegung und Aufdeckung des Grundes vor. Es geht um den Nachvollzug der rückkehrenden Bewegung des Seienden zum Sein4. Eine Hauptstoßrichtung Siewerth’s ist die Sicherung des Primats einer korrekt und unverfälscht verstandenden Ontologie gegenüber der rationalisierbaren Logik5. So wird das logische Nichtwiderspruchsprinzip auf das ontologische Kausalprinzip zurückgeführt6. Die logische Einheit der formalen Konsistenz ist Folge einer ontologischen und analogen Einheit zwischen Grund und Begründetem und nicht umgekehrt7. Nur ontologisch kann am konkreten Seienden die Unvereinbarkeit von Sein und Nicht-sein als Grundlage des Nichtwiderspruchsprinzips unmittelbar erfaßt werden8. Denn: jedes logische Prinzip und jeder Begriff ist Resultat 1 Siewerth wurde in der Theologie und Philosophie nur wenig beachtet. M. C. CASTRO, Sein und Gott (1971) faßt die Diskussion und Kritik gegenüber Siewerth zusammen. Etwas neuere Kritik wird von Alma von STOCKHAUSEN im ausführlichen Vorwort von SIEWERTH, G.: Gott (1971), S. 9-112. geübt. 2 SIEWERTH, G„ Abstraktion (1958), S. 21. 3 Ders.: Sein als Gleichnis (1958), S. 27: Das Seiende ist „analog, d.h. ein durch und in Verschiedenheit Selbiges”. 4 Ders.: Thomismus (1961), S. XXI. 5 Ders.: Apriorität (1933), S. 96f; Hinführung (1965), S. 27. Daraus folgt nach Grundfragen (1963), S. 107: „Alle Logik und Erkenntniskritik vor einer Ontologie sind daher im Wesen Verfälschungen des Denkens.” 6 Ders.: Thomismus (1961), S. 196. 213. 219. 7 Ebd„ S. 137.