Folia Theologica 11. (2000)
Péter Erdő: War die Kodifikation des Katholischen Ostkirchenrechts eine latinisierung?
WAR DIE ÖSTLICHE KODIFIKATION EINE LATINISIERUNG? 53 Dazu aber müßen wir anmerken, daß solche Erscheinungen keine La- tinisierung bedeuten, sondern eher die Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils wiederholen. Dieses Konzil hat nämlich die Lehre des I. Vatikanums über die Jurisdiktionsprimat des Papstes wieder betont (z. B. Lumen Gentium Nr. 22-23), aber durch die Ausarbeitung der Lehre über die Communio und Kollegialität der Bischöfe auch vertieft. Diese Ekklesiologie erscheint im orientalischen Kodex besonders in den Normen über die höchste kirchliche Autorität, die die Gesichtspunkte der Kolle- gialität hervorheben. In diesem Zusammenhang ist im CCEO nicht von der Römischen Kurie, sondern immer nur vom Heiligen Stuhl die Rede. Dies bedeutet meistens nur die Kongregation für die Ostkirchen. In der letzten Phase der neuen orientalischen Kodifikation wurde darüber hinaus der Ausdruck „Heiliger Stuhl” oft durch „Romanus Pontifex” ersetzt. In diesen Fällen kann - besonders in den Beziehungen zu den katholischen Patriarchalkirchen - praktisch nur das Staatssekretariat im Namen des Papstes Vorgehen.23 24 25 Im Eherecht wird manchmal kritisch angemerkt, daß es nicht auf den byzantinischen Quellen aufgebaut wird. Was in dieser Hinsicht die Frage der Unauflöslichkeit der Ehe anbelangt, sind die orthodoxen Autoren untereinander nicht einig. Wie Joseph Prader zu Recht betont, war auch in der orientalischen Tradition die Anwendung des Bildes der Beziehung zwischen Christus und seiner Kirche auf die Ehe der Christen und somit die Idee der Unauflöslichkeit von Anfang an in Vordergrund. Die Unauflöslichkeit ist also keine Frage des lateinischen oder orientalischen Denkens, sondern gehört vielmehr zum katholischen Glauben. Eine andere Frage ist die Möglichkeit der Dispens vom Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. Einige orthodoxe Autoren deuten den Kanon 72 des Trullanischen Konzils (691) in dem Sinne, daß eine solche Dispens unmöglich ist.26 Wohlgemerkt: auch in der katholischen (und sogar in der lateinischen) Kirche gab es in der Praxis bis zu Ende des XIX. Jahrhunderts eine allgemeine ablehnende Haltung.27 23 Vgl. Z. GROCHOLEWSKI, Die Canones über den Papst und das Ökumenische Konzil in dem neuen Codex des Kanonischen Rechtes, in Kanon 9 (1989) 51-81. 24 Vgl. I. ZUZEK, Omissione di alcune sezioni di canoni dal Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in Apolinaris 66 (1993) 449. 25 J. PRADER, II matrimonio in Oriente e Occidente (Kanonika 1), Roma 1992, 20-26. 26 VISCUSO 114.