Folia Theologica 11. (2000)
Péter Erdő: War die Kodifikation des Katholischen Ostkirchenrechts eine latinisierung?
50 P. ERDŐ Napoléon beeinflußt ist. Dieser Einfluß ist faßbar auch in der Geschichte der Kodifikation des lateinischen Kirchenrechts. In diesem Sinn ist Kodifikation keine lateinische, sondern eine neuzeitliche Idee. Hinsichtlich der gesonderten Promulgation der einzelnen Teilen des kodifizierten Ostkirchenrechts unter Pius XII. wurde manchmal gesagt, daß diese Lösung gewählt wurde, da eine gänzliche Kodifizierung nicht voll im Sinne der orientalischen Tradition sei. Einige Autoren hingegen sehen Gründe für die schrittweise Publikation eher in der politischen Situation einiger der betroffenen Länder im Nahen Osten, wo die kirchliche Gesetzgebung auch bürgerliche Wirkung hatte. Anders sieht die Gründe einer solchen Promulgation Richard Potz; nach seiner Meinung: „Die Kritik an der Arbeit der Kommission wurde immer vehementer, man sah darin - nicht zu Unrecht - die Gefahr einer neuen Form der La- tinisierung. Es kam schließlich zu einem Kompromiß, indem Papst Pius XII. anordnete, keinen «Gesamtkodex», sondern nur jene Teilgebiete ad experimentum zu promulgieren, von denen man annahm, sie würden am ehesten einen breiten Konsens finden”.16 Das theoretische Problem der Kodifikation liegt nicht so sehr in der Form, sondern in der Tatsache, daß ein von der höchsten Autorität der Kirche promulgiertes Gesetzbuch früheres Recht außer Kraft setzt. Wie bereits erwähnt, wurde dieser Schritt für das orientalische Kirchenrecht schon mit den Motuproprios von Pius XII. für verschiedene Bereiche getan. Ein solcher Vorgang hat freilich auch in der lateinischen Kirche stattgefunden, nämlich bei der Kodifikation von 1917. Mehrfaches ist dazu zu bemerken: Einerseits ist es verständlich, daß man sich schwer tut, im Hinblick auf die Tradition der ersten sieben Jahrhunderte, auf die die sacri canones zurückgehen, Änderungen durchzuführen. Das höchste Legitimationsprinzip des alten Christentums war ja die traditio apostoli- ca (apostoliké parádosis), die sowohl die Glaubenslehre, als auch die Prinzipien der christlichen Moral, der Liturgie und der kirchlichen Disziplin enthalten hat. Wie sich aus dieser Tradition die Dogmen im Hinblick auf die Glaubenslehre herauskristallisiert haben, so ist für die rechtliche Substanz durchaus ein paralleler Vorgang erkennbar. Dies erklärt, warum es bis zum XX. Jahrhundert gedauert hat und warum es der klareren 16 R. POTZ, Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Hrsg. J. Listi - H. Schmitz, 2Regensburg 1999, 77-89, besonders 81.