Folia Theologica 11. (2000)
Peter Henrici: Die Enzyklika zum dritten Jahrtausend. Fides et ratio
DIE ENZYKLIKA ZUM DRITTEN JAHRTAUSEND 17 91) bezeichnet und die vom „Ende der Metaphysik” (nr. 55) spricht, will der Papst - aus der Kraft seines Glaubens - den Philosophen wieder Mut machen, den christlichen, wie den nichtchristlichen. „Der parresia (dem Freimut) des Glaubens muss die Kühnheit der Vernunft entsprechen” schliesst der Papst das vierte Kapitel (nr. 48), und etwas später fügt er hinzu: „Es ist der Glaube, der die Vernunft dazu auffordert, aus jedweder Isolation herauszutreten und für alles, was schön, gut und wahr ist, etwas zu riskieren (der kalos kindynos Plantons!). So wird der Glaube zum überzeugten und überzeugenden Anwalt der Vernunft” (nr.56). „Der Glaube als Anwalt der Vernunft” - das sind neue Töne. Die Ordnung des I. Vatikanums ist umgestellt. Dort wurde der „duplex cognitionis ordo” (die zwei verschiedenen Arten von Erkenntnis) angemahnt, um neben der alles überwurchernden Philosophie einen Raum für den Glauben freizuhalten. Hier wird umgekehrt vom Glauben aus gemahnt, die Vernunft müsse ihren eigenen und angestammten Raum einnehmen und ihre unersetzliche, autonome Rolle erfüllen. Die ganze Enzyklika ist auf Ermutigung hin angelegt. Sie beginnt damit, dass sie zuerst aus den Quellen der Offenbarung und dann (im dritten Kapitel) auch mit philosophischen Überlegungen5 darlegt, dass die menschliche Vernunft befähigt ist, die Wahrheit zu finden. Nach dem historischen Exkurs des vierten Kapitels, den ich hier nachgezeichnet habe, weist sie in drei weiteren Kapiteln nachdrücklich und ausführlich darauf hin, wie notwendig die Philosophie für den christlichen Glauben und für die Theologie (und damit auch für die Priesterausbildung) ist. Diese notwendige Philosophie muss eine Seinsphilosophie, eine Metaphysik sein (nr. 83, 95), die auch die Sinnfrage stellen und mit der nötigen Weitsicht beantworten kann. Bei dieser Forderung hebt der Papst auch das Positive an den heute vorherrschenden philosophischen Strömungen hervor und weist auf die Bereicherung hin, die die Philosophie von den Weisheitslehren aussereu- ropäischer Kulturen gewinnen kann (nr 1, 69, 72). Damit hat sich in unserem letzten Akt, mit der Enzyklika selbst, nicht nur die Szenerie gewandelt, sondern die ganze Anlage des Dramas. In den ersten vier Akten war jeweils die Vernunft die Protagonistin, und der Glaube hat mehr oder weniger glücklich darauf reagiert. Jetzt ist es der Glaube, jetzt ist es die Kirche, die als erste die Vernunft aufruft, ihre Verantwortung wahrzunehmen und ihre eigenen Kräfte auszuschöpfen. 5 Vgl. dazu meinen Kommentar in: L’Osservatore Romano, 11. November 1998, S. 6.