Folia Theologica 11. (2000)

Peter Henrici: Die Enzyklika zum dritten Jahrtausend. Fides et ratio

P. HENRICI Das Werk der Vernunft kann nur autonom sein (die Enzyklika wird nicht müde, dies zu unterstreichen, z.B. in nr. 45, 48, 75, 77), und darum kann der Papst, kann das Lehramt, ja kann der Glaube das Werk nicht selbst unternehmen und es schon gar nicht ersetzen. Die Kirche kann nur dazu aufrufen und ermuntern, dass die Philosophen ihr ureigenstes Werk und das ihnen Mögliche tun. So wird, wie wir gehört haben, der Glaube zum Anwalt der Vernunft (nr. 56). Raum für die Vernunft, Vertrauen in die Kräfte der menschlichen Vernunft, Unersetzlichkeit des autonomen, vernünftigen Denkens zur Lösung der anstehenden Menschheitsprobleme: das ist das Programm­wort der Enzyklika für das kommende Jahrtausend. Ein Plädoyer dafür, dass der Mensch mit seiner Vernunft Verantwortung wahrnehmen kann und muss. Und dass er als Mensch, dass jeder Mensch mit seiner Ver­nunft, auch ohne Christus zu kennen, einsehen kann, was für einen Sinn sein Leben hat, und was das Gute ist. „Christus hat sich in seiner Menschwerdung mit dem Menschen vereinigt, mit jedem einzelnen Men­schen vereinigt” ist ein anderes Lieblingszitat des Papstes aus Gaudium et Spes. Darum sind seine unermüdlichen Aufrufe christozentrisch und anthropozentrisch zugleich. „Aprite, spalancate le porte a Cristo” war sein erstes Wort als Papst. Jetzt heisst es, etwas weniger rhetorisch, aber nicht weniger programmatisch: „Eine Philosophie, in der etwas von der Wahrheit Christi, der einzigen endgültigen Antwort auf die Probleme des Menschen, zum Leuchten kommt, wird eine wirksame Stütze für jene wahre und wirksame Ethik sein, die die Menschheit heute braucht” (nr. 104). Noch ein letzter Aspekt ist hier wenigstens zu erwähnen. Der Dialog zwischen Glauben und Vernunft bezog sich meistens, unausgesprochen, auf eine Drittperson im Hintergrund: die Religion (vgl. nr. 30). Auf dem Areopag und in der Väterzeit war es die antike Religion, im Mittelalter waren es der Islam und das Judentum, in der Neuzeit die neuen Formen des Religionsersatzes, Pantheismus und Atheismus. Im kommenden Jahr­tausend aber wird eine vermehrte Auseinandersetzung mit allen Religio­nen der Menschheit gefordert sein. Damit dieser interreligiöse Dialog gelin­gen kannt, muss er auf dem gemeinsamen Boden der Vernunfteinsicht ge­führt werden und im Blick auf die in jeder Religion implizierte philosophi­sche Weitsicht. Nicht zuletzt deswegen ist die Ermahnung des Papstes zum Vertrauen in die Vernunft und zur vermehrten Pflege der Philosophie - wo­bei er die Philosophien Asiens und die afrikanische Weisheit ausdrücklich erwähnt (nr. 1, 69, 72) - wegweisend für das dritte Jahrtausend.

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