Folia Theologica 11. (2000)
Peter Henrici: Die Enzyklika zum dritten Jahrtausend. Fides et ratio
14 P. HENRICI Glaube und Vernunft hinzuweisen. Also auch hier Retardation - auf deutsch gesagt: Wartestellung. Das gleiche wird man, trotz allem, auch von der grossen kulturellen Initiative Leos XIII. am Ende des vergangenen Jahrhunderts sagen müssen. Die Enzyklika Aeterni Patris propagierte erstmals eine eigene, sozusagen offizielle „kirchliche” Philosophie, und hatte dabei durchaus kul- tur- und sozialpolitische Absichten. Leo XIII. mahnt in seinem Rundschreiben eindringlich, eine „gute” und „gesunde” Philosophie zu pflegen, für die er als Vorbild Thomas von Aquin anführt. „Nach über einem Jahrhundert”, kommentiert Fides et Ratio, „haben viele in jenem Text enthaltene Hinweise sowohl unter praktischem wie unter pädagogischem Gesichtspunkt nichts von ihrer Bedeutung eingebüsst; das gilt zuallererst bezüglich des unvergleichlichen Wertes der Philosophie des hl. Thomas” (nr. 57). Und doch, gerade diese Empfehlung machte das Werk Leos XIII. zum retardierenden Moment. Denn wenn die Kirche fortan ihre eigene, bereits seit Jahrhunderten vorgezeichnete Philosophie pflegen sollte, wurde sie damit wenig zum Dialog mit dem neuzeitlichen Denken aufgefordert. Glücklicherweise hat die Geschichte, wenigstens weitgehend, etwas anderes bewiesen. Die Mahnungen Leos XIII. lösten zunächst vertiefte historische Studien über das mittelalterliche Denken aus, und diese förderten eine wesentlich weniger homogene und festgelegte mittelalterliche Philosophie zutage, die Raum bot für eine kreative Auseinandersetzung mit dem Denken der Neuzeit. In diesem, ebensosehr dem Neuen als der Scholastik verpflichteten Raum der Neuscholastik konnte sich vom zweiten Drittel unseres Jahrhunderts an der Dialog mit der modernen Welt entfalten, der im II. Vatikanischen Konzil, und namentlich in Gaudium et Spes so reife Früchte getragen hat. Eine weitere Frucht der Initiative Leos XIII. wird gerne übersehen. Die philosophische Restauration von Aeterni Patris sollte auf lange Sicht Rerum novarum vorbereiten. Papst Leo schrieb den katholischen Schulen mit mehr als nur sanftem Druck ein „gute” und „gesunde” Philosophie vor, weil er überzeugt war, dass nur eine solche Philosophie die Grundlage für eine gerechte Gesellschaftsordnung abgeben konnte. So lesen wir auf einer der letzten Seiten von Aeterni Patris: „Domestica vero, atque civilis ipsa societas, quae obe perversarum opinionum pestem quanto in discrimine versetur, universi perspicimus, profecto pacatior multo et securior consisteret, si in Academiis et scholis sanior traderetur, et magisterio Ecclesiae conformior doctrina, qualem Thomae Aquinatis volumi-