Folia Theologica 10. (1999)

Stanislav Vojtko: Reinkarnation oder Auferstehung?

REINKARNATION ODER AUFERSTEHUNG? 59 nicht in der Lage ist, das Wesen seines materiell-seelischen Daseins zu leugnen. Nach der Epoche der totalitären Systeme, die paradox im Men­schen einen Abscheu zum Materialismus und eine Sehnsucht nach dem geistlichen erweckt haben, begann im Europa eine Renaissance der Re- ligiohsempfindung (mehr Empfindung als des Denkens). Doch das Christentum mit seiner klaren übersichtlichen Doktrin, mit seinem anspruchsvollen Radikalismus von Evangelium und obendrein in den Augen der Welt im bestimmten Masse in seiner hierarchistischen Struktur kompromitiert ist für einen Konsummenschen nicht entspre­chend. Der Mensch von heute — einerseits ein starker Individualist und In­tellektuelle, anderseits ein bequemer Sensualist, der immer nach den neuen Erregungen sehnt — findet eher eine Befriedigung in solchen Gedankenströmungen, die ihm ermöglichen, sich in Spekulationen auszuleben und im breiten Spektrum der moralischen Haltungen zu lavieren. Die neue geistige Strömungen (ursprüngliche Ostreligionen oder die neuzeitige Sekten) haben es in den Vereingten Staaten von Amerika wie auch in Europa geschafft, sich durchzusetzen, vor allem dank dem Le­bensgefühl wie auch dem Unsicherheitsgefühl und auch dank der Übersättigung von materiellen Guten. Die Flucht vor der rauhen Realität der Konsumgesellschaft ist das häufigste Motiv für eine Abweichung von den heimischen Traditionen - so bei den Amerikanern wie auch bei den Europäern. Aber diese Abweichung hat tragische Konsequenzen: der Mensch, welcher den in der Bibel offenbaren Gott ablehnt, der die Lehre von der urzuständlichen Sünde und dem Erlöser ablehnt, verliert notwendig se­inen Identitätsbegriff und sucht eine neue Erklärung für ihn. Materialis­tische Konzeptionen sind in der Gegenwart schon überwunden, deshalb sucht der Mensch neue geistige Konzeptionen. Aber der Stolz gestattet ihm doch nicht, sich vor dem einfachen Gedanken des Heiligen Augustinus zu bücken: „Unzufrieden ist unser Herz, bis es nicht in Dir beruht, mein Gott.” Die Reinkarnationslehre trifft sich darum mit so einem Erfolg, weil sie nicht insofern eine unangenehme Wahrheit über die persönliche Schuld des Menschen betont, aber zugleich eine Hoffnung auf „besseren Morgen” bietet. Die Reinkarnationsidee mit ihren langen Zeitab- meszonen und ihren Glauben in eine Revidierungsfähigkeit der falschen Lebensentscheidungen in den späteren Existenzformen bedeutet eine

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