Folia Theologica 10. (1999)
Ciril Sorč: Die trinitarische Dimension des menschlichen Lebens
48 C. SORC mer unter uns bleiben, damit wir nicht in die Versuchung kämen, eine „sichere” Gesellschaft zu bilden. Hier wird die christliche Liebe, die „Weite” unserer Liebe auf die Probe gestellt. Diese Menschen brauchen kein Bedauern, sondern die Aufnahme. Die sogenannten „Behinderten” machen sichtbar die richtige, reale Welt, vor der wir uns oft in eine eingebildete Welt verstecken. Sie sind richtige „Therapeuten” der so genannten gesunden Gesellschaft. Diese Menschen sehen die Welt und die Ereignisse durch eine andere Perspektive, an welche die „Gesunden” so oft vergessen, die aber eine Grundergänzung darstellt. (Der blinde Photograph entdeckt uns die Welt, für die wir „blind” sind, der Taube „hört” das, was wir überhören, der Lahme „wandert” in der Welt, in die wir uns nie begeben würden). Perichoretische Beziehungen sind solchenart, daß sie dem anderen erlauben und sogar ermöglichen, der Andere und anders zu sein. Verschiedenheit ist ein Beitrag zum Reichtum der Gemeinschaft. Nur Selbstzufriedenheit, Selbstgenügsamkeit, Selbstbehauptung, oder mit anderem Wort: Egoismus, wirken zerstörerisch. In den perichoreitschen Beziehungen ist der Blick auf den anderen gerichtet. Wichtig ist es, den anderen in seinem „Kontext” anzunehmen. Kein „Auseinanderreißen” von seiner Lebensumgebung, sondern die Offenheit, ihn zusammen mit seiner Umgebung anzunehmen. Jeder „Entwurzelte” ist behindert, ist auch gefährlich (Auswanderer, Flüchtlinge ...). Gewaltsame „Überpflanzung” bedeutet eine Verarmung und Gefahr für jede Gesellschaft. Nach L. Boff baut der Glaube an dreifältigen Gott die Gemeinschaft als eine Realität, die alles bestimmt. Gott, der Grund von allem, was lebt, ist keine Vereinsamung, sondern Gemeinschaft. Gerade diese Gemeinschaft ist, wie Boff sagt, ein Archetyp, ein Vorbild für jedes gemeinsame Leben. Die Haupteigenschaften dieser Gemeinschaft sind: die Einheit der Personen als eine Gemeinschaft der Liebe; eine Gemeinschaft der freien Menschen42 43; wesentliche Gleichheit aller Personen; Teilnahme und Mitarbeit aller Personen bei allem; der Respekt der Verschiedenheit der Personen als die Einheit in Vielartigkeit.44 Die Menschheit ist im Grund eine einzige Ganzheit. Das erkennt der heutige Mensch noch um so mehr, weil er feststellt, daß die Tätigkeit der Menschen auf einem Teil der Erde auf das Vorgehen auf anderem Teil einwirkt. Es gibt keinen, der so sicher vor den anderen wäre, daß ihm egal wäre, was in der Welt geschieht, und noch mehr, was in seiner 42 Vgl. J. MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes, 230-239. 43 Vgl. G. KRAUS, a.a.O., 324-325.