Folia Theologica 9. (1998)
Viktor Papež OFM: Die nationalen Minderheiten in den kirchlichen Dokumenten
44 V. PAPEZ deren annehmen und dadurch an der Gemeinschaft und an der friedlichen Zukunft bauen.43 Der Papst nennt in seiner Botschaft einige Grundrechte und Pflichten der nationalen Minderheiten. Von ihnen hat er schon bei anderen Gelegenheiten gesprochen; hier faßt er sie aber in einer Gesamtschau zusammen.44 Die Rechte und Pflichten sind korrelativ, was bedeutet, daß die Rechte, die der Minderheit zukommen, gleichzeitig auch Pflichten gegenüber dem Mehrheitsvolke einschließen.45 a) Die Rechte der nationalen Minderheiten Das erste Grundrecht der nationalen Minderheiten ist das Recht auf Existenz. Das Recht auf Leben ist unabdingbar. Dieses Recht wird oft auf direkte oder indirekte Weise verletzt, was bis zum Genozid für die nationale Minderheit führen kann. Der Staat, der das Recht einer nationalen Minderheit auf Existenz und damit das Leben der einzelnen, die der Minderheit angehören, gefährdet, verletzt das Grundrecht, das die soziale Ordnung und Sicherheit regelt.46 Das Recht auf Existenz beinhaltet auch das Recht auf ein Territorium, das notwendig ist für die Existenz der Minderheit. Der Verlust des Territoriums bedeutet, sich in der großen Gefahr zu befinden, seine Existenz zu verlieren und schließlich unterzugehen.47 Eine Minderheit hat ferner das Recht, ihr eigenes Kulturerbe zu bewahren und zu pflegen. Die Unterdrückung oder das rechtliche Verbot der Anwendung einer bestimmten Sprache, die gewaltsame Änderung der topografischen und Personennamen, das Ignorieren der kulturellen und literarischen Schöpfung einer nationalen Minderheit bedeutet die Verletzung der Rechte, die eine nationale Minderheit in bezug auf ihre kulturelle Identität besitzt. Mit dem kulturellen Erbe eng verbunden ist das Recht der Minderheit auf Kontakt mit ihrem Muttervolke.48 Das Recht auf eigene Kultur setzt auch das Recht auf die kollektive Identität der Minderheit voraus, die, ebenso wie die Identität jeder Menschengemein43 Johannes Paul II., “Friedensbotschaft zum Neujahrstag 1989”, n. 3. 44 Johannes Paul II., “Ansprache”, 3.6.1979, in AAS 71 (1979) 747; “Ansprache”, 8. 6. 1979, in AAS 71 (1979) 849; “Ansprache”, 11.5. 1980, in AAS 72 (1980) 533. 45 R. MARTINO, “Ansprache zum 40. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte durch die UNO”, Accademia Alphonsiana 1989. 46 Johannes Paul II., “Friedensbotschaft zum Neujahrstag 1989”, n. 5. 47 Ibid., n. 6. 48 Ibid., n. 7, 9.