Folia Theologica 9. (1998)

Viktor Papež OFM: Die nationalen Minderheiten in den kirchlichen Dokumenten

DIE NATIONALEN MINDERHEITEN 35 Rahmen des “Internationalen Friedenstages” 1989.5 Dieses Schreiben ist nämlich das erste amtliche Dokument der Kirche, das sich ausschließlich und vollumfänglich den nationalen Minderheiten, ihren Rechten wie auch ihren Pflichten der Gesellschaft gegenüber, in der sie leben, wid­met. Das Dokument wurde zu einer Art “magna charta” für die Kirche wie für die Zivilgesellschaft bei der Regelung der brennenden Probleme der nationalen Minderheiten in der heutigen Zeit. 1.) Der Begriff der nationalen Minderheiten Die Probleme der nationalen Minderheiten entspringen nicht selten einer falschen Sicht vom Mehrheitsvolk, das in der Praxis wie auch amtlich identifiziert wird mit Staat, Nation, Volk, Rasse, sowie einem falschen Konzept von nationaler und ethnischer Minderheit.6 Während jedoch der Staat ein politisches Gebilde ist und sich nicht unbedingt mit einem Volke deckt, ist das Volk oder die Nation eine große Menschengemeinschaft, die durch verschiedene Bande, besonders durch die Kultur geeint wird. Die Nation besteht durch die Kultur und „für” die Kultur. Es ist eine Gemeinschaft, die eine gemeinsame Geschichte hat, eine Geschichte, die die des einzelnen und der Familie übersteigt.7 Die Nation entsteht durch eine Reihe von gemeinsamen physischen (Rasse, Territorium), historischen (Vergangenheit, Sprache, Kunst, Re­ligion, Nationalheldentum, Märtyrer) sowie moralischen Elementen (Ideen, Philosophie, Emotionen, Wille) oder wie Fortier sagt: “La nation est un ensemble de similitudes physiologiques et psychologiques qui caractérisent la façon d’etre et de vivre d’une multitude donnée”.8 Eine Minderheit läßt sich dagegen viel schwieriger bestimmen, und bis heute liegt noch keine allgemein anerkannte und gültige Definition vor. Es handelt sich bei einer Minderheit um eine Gemeinschaft oder eine Gruppe von Menschen, die auf dem Territorium eines bestimmten Staates lebt und sich von der Kultur der Mehrheitsbevölkerung unter­scheidet.9 5 V. PAPEZ , “Per costruire la pace - rispettare le minoranze”, in Antonianum 65 (1990) 627-660. 6 V. PAPEZ , ibid., 628-633. 7 Johannes Paul II., “Rede vor der UNESCO”, 2. 6. 1980. 8 G. FORTIER, La nation dans Vordre international (Montreal 1966), 21. 9 A. PIZZORUSSO, “Minoranze”, in Enciclopedia del Diritto, XXVI (Milano 1976), 528.

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