Folia Theologica 6. (1995)

Gábor Adriányi: Warum und wie verließ Kardinalprimas József Mindszenty 1971 die amerikanische Botschaft zu Budapest?

FOLIA THEOLOGICA 6 (1995) 73 Gábor ADRIÁNYI WARUM UND WIE VERLIESS KARDINALPRIMAS JÓZSEF MINDSZENTY 1971 DIE AMERIKANISCHE BOTSCHAFT ZU BUDAPEST? Als am 28. September 1971 um 8.30 Uhr der ungarische Primas das Gebäude der amerikanischen Botschaft verließ, endete für ihn eine fünf­zehn Jahre währende Halb-Freiheit — Halb-Gefangenschaft mit einer neuen, vielleicht Schwestern Belastung seines Lebens. Zugleich war dies für die ungarische Regierung ein Erfolg ihrer seit 1957 unablässig ver­folgten Bemühungen. Mindszenty verließ seine Heimat unter Bedingun­gen, in die er nicht einwilligte und teils auch nicht kannte, die ihn dann auch im Exil letzten Endes der kommunistischen Kirchenpolitik Ungarns auslieferten. Seine Amtsenthebung 1974, fünfzehn Monate vor seinem Tode, ist anders nicht zu erklären. Solange die Dokumente aus dem Vatikan, dem amerikanische State Department und dem Ungarischen Innenministerium — sofern überhaupt erhalten! — nicht einzusehen sind, wir auf die sehr knapp gemessenen und teils unklaren stichwortartigen Tagebuchaufzeichnungen Mind- szentys angewiesen1. Doch auch aus diesen ist ein ziemlich klares Bild über die Vorgänge zu eruieren. Der Wunsch des Hl. Stuhles, der Primas möge Ungarn verlassen, zeichnete sich zuerst diskret und ohne Verbind­lichkeit, später mit unmißverständlichem Druck und letzlich als Befehl ab. Die ungarische Sicherheitspolizei hat bereits im Frühjahr 1957 — also kaum fünf Monate, nachdem Mindszenty in der amerikanischen Bot­schaft zu Budapest Asyl fand — von den verhafteten katholischen Geist­lichen Erklärungen erpreßt, wonach die Entfernung Mindszentys aus Ungarn auch im Interesse der Kirche läge und ließ dies in der internatio­1 MINDSZENTY, József, Napi jegyzetek, Budapest, ameriaki követség 1956- 1971 (Tagebücher, Amerikanische Botschaft, Budapest 1956-1971, im Wei­teren N.J.) Vaduz 1979.

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