Folia Theologica 6. (1995)
Bruno Primetshofer: Die Fähigkeit zum Ehekonsens nach Kanonischem Recht
DIE FÄHIGKEIT ZUM EHEKONSENS 21 Wirklichkeit ist aber die Entscheidung über diese Frage von nicht geringer praktischer Bedeutung, wie noch zu zeigen sein wird. Aufgrund der bisher getroffenen Unterscheidung, wonach das Erfüllungsunvermögen grundsätzlich den Erkenntnis- und Willensbereich nicht tangiert, kann die rechtstypologische Einordnung nicht bei den Konsensmängeln, sondern nur bei den Ehehindernissen vorzunehmen sein51. Eine dritte Kategorie von Ehenichtigkeitsgründen schlägt Bruns vor, nämlich das Konsenshindernis. Er grenzt diesen Begriff insofern vom Konsensmangel ab, als darunter ein Willensakt zu verstehen sei, der — sei sich die betreffende Person dessen bewußt oder nicht — gegen das Ehevertragsobjekt als solches oder gegen einen wesentlichen Bestandteil desselben gerichtet ist52. Konsenshindernis meine hingegen einen der Person vorübergehend oder dauernd anhaftenden Umstand, der sie unfähig macht, einen naturrechtlich hinreichenden Konsens zu setzen, selbst wenn sie dies wollte. Wesentliches Merkmal eines naturrechtlich hinreichenden Konsenses sei seine Zurechenbarkeit. Der Ehekonsens sei nicht irgendein vom Verstand geleiteter intentionaler Willensakt, sondern ein zurechenbarer Willensakt, ein „actus voluntatis imputabilis”, wie es in der Konsensdefinition des c. 1081 § 2 (CIC/1917) vollständig heißen müßte. Ein Willensakt in bezug auf eine unerfüllbare Verpflichtung sei kraft des Naturrechts nicht zurechenbar53. Dem ist entgegenzuhalten, daß es dieser Auffassung zufolge in keinem Fall einen gültigen Ehekonsens geben könne, wenn der Ehe ein trennendes Ehehindernis entgegensteht, wobei man noch differenzieren könnte, ob es sich um ein Hindernis des Naturrechts oder des reinen Kirchenrechts (ius mere ecclesiasticum) handelt. Denn in diesen Fällen liegt ja ebenfalls eine wegen des trennenden Ehehindernisses unerfüllbare 51 So LÜDICKE in: Münsterischer Kommentar, Einführung vor c. 1095, Rdz. 10. — Währehd an dieser Stelle Lüdicke die Fälle des c. 1095 1 und 2 unter die (sekundären) Willensmängel einreiht, trat er unmittelbar nach der Promulgation des CIC/1983 noch für eine Verschiebung des gesamten c. 1095 zu den Ehehindernissen ein. LÜDICKE, Eherecht. Canones 1055-1165. Codex Iuris Canonici. Kommentar für Studium und Praxis, Essen 1983, 84. Vgl. zum Thema K. Th. GERINGER, Zur Systematik der kanonischen Ehenichtigkeitsgründe, in: AkKR 150 (1981) 91-136. 52 BRUNS, Erfüllungsunvermögen (Anm. 49), 6. 53 BRUNS, ebda, 6 (., 21, 23. — Kritisch zum Begriff „Konsenshindemis": WEBER, Erfüllungsunvermögen (Anm. 44), 173, Anm. 222.