Folia Theologica 6. (1995)

Bruno Primetshofer: Die Fähigkeit zum Ehekonsens nach Kanonischem Recht

DIE FÄHIGKEIT ZUM EHEKONSENS 13 Im Falle eines dauernden oder auch nur vorübergehenden totalen Fehlens der Erkenntnisfähigkeit ist der Betreffende nicht mehr fähig, einen actus humanus zu setzen23. 3) Fehlen des Urteilsvermögens Als vom nicht ausreichenden Vernunftgebrauch (c. 1095, 1) deutlich abgehobener Tatbestand24 wird schwerer Mangel des Urteilsvermögens („gravis defectus discretionis iudicii”) hinsichtlich der wesentlichen, wechselseitig zu übertragenden bzw. zu übernehmenden ehelichen Rechte und Pflichten bezeichnet (c. 1095, 2). In Lehre und Rechtsprechung wurde der Ausdruck „discretio iudicii” bisweilen synonym mit „maturitas iudicii” verwendet25, was aber zu un­richtigen Schlüssen Anlaß geben kann. Zum einen bemerkt eine Ent­scheidung der SRR vom 23. 5. 1987 (coram Fiore), daß der Gesetzgeber die Wortwahl des c. 1095, 2 mit Bedacht getroffen habe, denn „maturi­tas” sei kein Rechtsbegriff, sondern ein solcher der Psychologie und be­zeichne den Endpunkt einer Entwicklung26. Zum anderen könne „maturi­tas” auch in dem Sinne mißverstanden werden, als ob eine gültige Ehe nur dann vorliege, wenn die Ehewerber einen umfassenden Reifegrad in bezug auf alle Aspekte des Ehelebens aufweisen und eine innere Freiheit höchsten Grades besitzen. Dies sei aber keineswegs erforderlich, und in 23 In diesen Fällen stellt sich (falls es überhaupt noch zu einem Eheabschluß kommt!), die Frage, ob für eine solche Ehe noch die Rechtsvermutung der Gültigkeit (c. 1060) streiten kann. Hier liegt nicht eine „hinsichtlich ihrer äußeren Elemente vorschriftsmäßig vorgenommene Rechtshandlung" (c. 124 § 2) vor, für die die in c. 1060 ausgesprochene Rechtsvermutung der Gültigkeit streitet, sondern ein von einem Handlungsunfähigen gesetzter Nichtakt, der von vornherein als nicht existent betrachtet werden muß (Nichtehe — matrimonium non existens). Vgl. HEIMERL-PREE, Kirchen­recht (Anm. 7), 104. — Die in c. 125 § 1 nur für den Fall des absoluten Zwanges (vis absoluta) vorgesehene Rechtsfolge der Nichtexistenz des Aktes („pro infecto habetur" — absolute Nichtigkeit) ist mE auch auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt auszudehnen. 24 Zur kanonistischen Diskussion über die Unterscheidung der beiden in c. 1095, 1 und 2 angesprochenen Nichtigkeitsgründe vgl. R. L. BURKE, Lack of Discretion of Judgment: Canonical Doctrine and Legislation, in: Jur 45 (1985), 185-196. 25 Vgl. Abate, II consenso (Anm. 5), 456. 26 Nachweise bei' PREE, Neuestes (Anm. 12), 63 f.

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