Folia Theologica 6. (1995)
Bruno Primetshofer: Die Fähigkeit zum Ehekonsens nach Kanonischem Recht
14 B. PRIMETSHOFER der Wortwahl „discretio iudicii” komme auch die Relativität der gestellten Anforderungen deutlich zum Ausdruck27. Das fehlende Urteilsvermögen als rechtlich relevanter, d.h. die gültige Ehe verhindernder Tatbestand bedeutet, daß eine Person, ohne dauernd oder vorübergehend geisteskrank zu sein, in ihrer Werteinsicht, Urteilsfähigkeit und freien Entscheidungsfähigkeit so stark beeinträchtigt ist, daß die Abgabe eines den Erfordernissen des Naturrechts entsprechenden Ehekonsenses nicht möglich ist28. M.a.W., das Fehlen der „discretio iudicii” bedeutet, daß der Betreffende, aus welchen Gründen immer, die Ehe nicht als das sieht und bewertet, was sie in der Tat ist. Infolgedessen kann sein Wille gar nicht auf Ehe gerichtet sein; sein „Bild” von Ehe und sein von daher bestimmter Wille sind anders determiniert. Dabei werden an die Erkenntnisfähigkeit, an den Grad der „discretio iudicii” selbstverständlich keine übertriebenen Anforderungen gestellt, sondern es genügt ein Entwicklungsstand in bezug auf das Erkennen und Anstreben, der in einem normalen Menschen nach erreichter Pubertät anzutreffen ist29. Dieser Grad an discretio ist freilich mit dem in c. 1096 geforderten Mindestwissen nicht deckungsgleich. Dieses Mindestwis27 Vgl. M. F. POMPEDDA, Annotazioni sul diritto matrimoniale del nuovo Codice canonico, in: Il matrimonio nel nuovo Codice di Diritto canonico, Padova 1984, 46 f. — In seiner Ansprache an die Auditoren der SRR vom 5. 2. 1987 unterscheidet Papst Johannes Paul II. zwischen der „maturità psichica" und der „maturita canonica". Nur letztere sei „il punto minimo di partenza per la validità del matrimonio". AAS 79 (1987), 1457, Nr. 6. 28 ABATE, Consenso (Anm. 5), 456 spricht von der „...facoltà „critica", riflessi- va, estimativa, che permette ai nubenti di discernere e apprezzare, con un giudizio di insieme, le responsabilità inerenti alle loro nozze e di accerdervi con una scelta ponderata e libertà interiore". — Pompedda stellt drei Kriterien für die „discretio iudicii" gemäß c. 1095, 2 auf: „1) una sufficiente co- noscenza intelletiva; 2) una sufficiente valutazione critica: sia del negozio in sé; sia dei motivi per contrario; sia dell'incidenza del negozio stesso sulla persona dei contraente; 3) una sufficiente libertà interna: sia nel valutare i motivi, cioè nel deliberare; sia nel dominare gli impulsi o condizionamenti interni." M. F. POMPEDDA, Maturita psichica e matrimonio nei canoni 1095, 1096, in: Apoll 57 (1984), 131-150,134. (Hervorhebungen im Original). 29 SRR 14. 12.1984 coram Pinto, in: MonEccl 183 (1988), 447 f. ad 4.