Folia Theologica 6. (1995)
Bruno Primetshofer: Die Fähigkeit zum Ehekonsens nach Kanonischem Recht
10 B. PRIMETSHOFER nehmen (vgl. c. 1057 § 2) erkenntnismäßig überfordert wird12. Denn Objekt des Ehekonsenses ist der Partner in seiner Eigenschaft als Ehegatte bzw. -gattin, der mit Verstand erkannt und mit dem Willen angenommen werden muß13. Wessen Erkenntnisfähigkeit dazu nicht ausreicht, mag diese auch in anderen Lebensbereichen von geringerer Tragweite gegeben sein, der muß im Sinne von c. 1095, 1 als konsensunfähig bezeichnet werden. In der kanonistischen Doktrin wie auch in der Rechtsprechung der SRR wurde lange Zeit mit der sog. Todsündennorm operiert, derzufolge für die Eingehung einer Ehe ein höherer Grad von Erkenntnis erforderlich sei als zur Begehung einer Todsünde. Dieser auf Thomas von Aquin zurückgehende14 Interpretationsbehelf hat allerdings im Laufe der Zeit verschiedenste Deutungen erfahren15; die SRR hat die Todsündennorm lange Zeit falsch verstanden16. 12 FORNÉS, Derecho (Anm. 8), 107 identifiziert die Konsensunfähigkeit im Sinne von c. 1095,1 mit der Unfähigkeit zur Leistung eines actus humanus. Ebenso R. SEBOTT, Das neue Eherecht, Frankfurt/M., 21990, 125, sowie R. SEBOTT - C. MARUCCI, II nuovo diritto matrimoniale della Chiesa, Napoli 1985, 130. — Das müßte freilich rein punktuell im Sinne der Setzung eines actus humanus in bezug auf den Abschluß einer Ehe gesehen werden. Denn wer in diesem Bereich keinen actus humanus setzen kann, der braucht deshalb nicht schlechterdings in allen übrigen Lebensbereichen dazu unfähig zu sein. — Bezüglich des Erfordernisses der Fähigkeit zum „actus vere humanus" vgl. einige Urteile der SRR bei H. PREE, Neuestes aus der Ehejudikatur der Rota Romana, in: AkKR 159 (1990), 64 f. 13 Treffend bezeichnet Hervada als eigentliches Konsensobjekt „la persona del otro en cuanto varón o en cuanto mujer, o sea en su conyugalidad". J. HERVADA, Relección sobre la esencia del matrimonio y el consentimiento matrimonial, in: Vetera et Nova. Cuestiones de Derecho Canónico y afines (1958-1991), Pamplona 1991, II, 938. 14 Thomas hat allerdings an der entsprechenden Stelle (IV sent., Dist. XXVII, qu. II, art. II, ad 2 „... et ideo ante potest homo peccare mortaliter quam possit se obligare ad aliquid futurum", das Verlöbnis (sponsalia de futuro) und nicht die Eheschließung (sponsalia de praesenti) im Auge. 15 ZAPP, Eherecht (Anm. 3), 129. Vgl. P. A. BONNET, L'errore di diritto giuridi- camente rilevante nel consenso matrimoniale canonico, in: La nuova legislazione canonica. Il consenso: Elementi essenziali, difetti, vizi. Studi giuridici X, Città del Vaticano 1986, 50 f. 16 H. ZAPP, Die Geisteskrankheit in der Ehekonsenslehre Thomas Sanchez, Köln- Wien 1971. Zu den diesbezüglichen Entwicklungslinien in der Rechtsprechung der SRR vgl. A. DORDETT, Eheschließung und Geisteskrankheit. Eine Darstellung nach der Rechtsprechung der Sacra Romana Rota, Wien 1977,14-19.