Folia Theologica 4. (1993)
Winfried Aymans: Gemeinrechte und Gemeinpflichten aller Gläubigen
GEMEINRECHTE UND GEMEINPFILCHTEN 13 Vom Anfang der Reformarbeiten an war im Zusammenhang mit der LEF von dem »ius constitutivum« oder von der »Lex Fundamentalis seu Ecc- lesiae Constitutionis« die Rede. Damit war nicht nur das Stichwort einer formellen Kirchenverfassung gefallen, sondern zugleich auch methodisch eine gewisse Nähe zu dem staatlichen Verfassungsdenken herbeigeführt worden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der beabsichtigten, aber nicht ganz problemlosen Vor- bzw. Überordnung des kirchlichen Grund- oder Verfassungsgesetzes im Verhältnis zu allem sonstigen kirchlichen Recht27 28 wie auch bezüglich der Rechtsmaterien. Die formale Nähe von kirchlichem und staatlichem Verfassungsdenken ist verführerisch. Sie hat in der wissenschaftlichen Diskussion für einige Verwirrung gesorgt29 und der Kirche den Vorwurf eingetragen, auch in dieser Hinsicht komme sie wieder einmal zu spät.30 Das ganze Projekt der »Lex Ecclesiae Fundamentalis« und in dessen Gefolge die Redeweise von den »iura fundamentalia« haben aber auch in dem Beratungsverfahren selbst gelegentlich waghalsige Thesen hervorgebracht. In der Kritik wurde beispielsweise das SchemaLEF/1971 mit der Magna Charta Englands und den Verfassungen der Vereinigten Staaten von Nordamerika und von Australien verglichen und gefordert, die LEF müsse ein feierliches Dokument sein, in dem die Grundrechte aller Individuen zu erklären seien; die 27 Vgl. Communicationes 1 (1969) 41 und 114. 28 Vgl. cann. 84-86 SchemaLEF/1971 und cann. 85-87 SchemaLEF/1980: Communicationes 13 (1981) 80 f. Die Bedenken sind vor allem darin begründet, daß die LEF richtigerweise nicht eine vollständige Sammlung des göttlichen Rechtes sein sollte. Die Normqualität ist im kanonischen Recht aber nicht formal, sondern grundlegend durch die Unterscheidung von »ius divinum« und »ius mere ecclesiasticum« bestimmt. — Im Hinblick auf das Gewohnheitsrecht, das den vorzüglichen ekklesiologischen Ort der Teilhabe aller Gläubigen an dem »munus regendi« darstellt (vgl. hierzu W. AYMANS — K. MÖRSDORF, Kanonisches Recht 1, Paderbom-München-Wien-Zürich 1991,208-212), konnte die rigorose Norm des can. 84 §2 SchemaLEF/1971 bzw. can. 85 §2 Schema LEF/1980 nicht gefallen. Hier wurde jede »consuetudo contra Legem Fundamentalem« verworfen; bedenkt man aber, daß die LEF auch manche Bestimmungen »iuris mere ecclesiastici« enthalten sollte, so konnte die strenge Norm die sonstige Grundposition der Kirche in ihrer Einstellung zu dieser wichtigen Frage nicht wiedergeben; hier drohte eine Verschlechterung des überkommenen Rechtszustandes. 29 Vgl. im einzelnen hierzu W. AYMANS; Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, Regensburg 1980, 43-50. 30 Vgl. G. ALBERIGO, Ein Grundgesetz der Kirche? in: Orientierung 35 (1971) 90.