Folia Theologica 3. (1992)
Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin
68 L. SCHEFFCZYK wiederum im Leiblichen gänzlich aufzugehen.49 Hierin liegt die weitere Folgerung eingeschlossen, daß die Verleiblichung der Seele zu ihrer Vervollkommnung dient, weil der Mensch nur so als einzigartige Zusammenfassung der Schöpfung gedacht werden kann.50 Darum ist die Seele im Erkenntnisvorgang auf den Leib und seine Sinne angewiesen, obgleich das Erkennen und Wollen als solches die leibgebundenen Tätigkeiten überragt.51 Dieses Überragen beweist sich besonders darin, daß das intellektuelle Wahrnehmen bis zum Seinsgrund der Dinge hindurchdringt. Deshalb gibt es in der Seele auch das natürliche Begehren, das desiderum naturale,52 zur höchsten Ursache, zu Gott, durchzudringen, wobei dieses Letzte, Absolute aber nicht wie in der transzendentalen Interpretation schon in der Seele angelegt ist, sondern ihr gegenübersteht. Es ist nicht primär durch Selbsterkenntnis zu gewinnen, sondern durch Zuwendung zur Welt und durch ihr Übersteigen, was nur die Seele vermag. Alle diese dialektisch gespannten Aussagen haben ihren Einigungspunkt und ihre Grundlage in der Erkenntnis, daß die Seele ein geistig Seiendes ist, das in sich selbst zu stehen vermag, das auf sich selber ruht und subsistent ist, d. h. von sich aus existiert. Das von Thomas erbrachte Neue lag in der Synthese der Leibbezogenheit und der Subsistenz der Geist-Seele, worin auch der Gedanke von einer qualifizierten Unzerstörbarkeit eingeschlossen war. Deshalb taucht dieser Gedanke nicht erst in eschato- logischen Zusammenhängen auf, sondern in der Psychologie, so schon im ersten Teil der Summa, wo es q. 76 a. 6 heißt: „Cum anima sit forma per 49 Vgl. etwa Q. D. De anima II co.: „Cum enim anima humana sit quaedam forma unita corpori, ita tamen quod non sit a corpore totaliter comprehensa quasi ei immensa sicut aliae formae materiales, sed excedat capacitatem totius materiae corporalis, quantum ad hoc in quo excedit materiam corporalem, inest ei esse in potentia ad intelligibilia, quod pertinet ad intellectum possibilem": Q. D. De anima II co. 50 „Si igitur propter hoc anima humana unibilis est corpori, quia indiget accipere species intelligibiles a rebus mediante sensu, necessarium est quod corpus cui anima rationabilis unitur tale sit ut possit esse aptissimum ad recipiendum species sensibiles ex quibus intellectui species intelligibiles resultent": ebd. co. 51 Q. D. De anima I C0.52 52 S. Th. I q. 61 a. 2 ad 3; vgl. dazu J. PIEPER, Tod und Unsterblichkeit, München 1979,182.