Folia Theologica 3. (1992)

Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin

ZUR UNSTERBLICHKEITSPROBLEMATIK 65 die Freiheit im Werden gebunden ist, verliert sie in einer nicht mehr dem Werden unterworfenen Freiheit ihre Bedeutung. Sie wird vollendet durch ihre Überwindung. Danach erfuhr dieser Entwurf noch eine weitere Ausgestaltung. Am Bei­spiel von Tod und Auferstehung Christi wird der Tod als höchste Aufgip- felung der Geschichte des Menschen verstanden, als „Ernte der Zeit”,37 ja sogar als Befreiung aus dem „Kerker der Zeit”,38 in der alle irdischen Erfahrungen, alle aktiven Gestaltungen und passiven Leiden des irdischen Daseins vor Gott eingebracht werden. Das bedeutet, daß Leib und Ge­schichte im Tode in dem Sinne abgestreift werden, daß sie endgültig in die Subjektivität einbezogen und verinnerlicht werden. Hier wird aber offen­bar der Leib mit den Erfahrungen der Geschichte gleichgesetzt und nicht als materielle Realität verstanden. Von daher wird verständlich, daß die­sem Entwurf der Vorwurf eines wider die eigene Absicht erneuerten Platonismus gemacht wurde.39 Noch mehr hat die Einseitigkeit Kritik gefunden, mit der hier der Tod als triumphales Vollendungsereignis gefeiert wird, was weder einem mensch­lichen Grundverständnis noch dem christlichen Glauben entspricht. Dara­uf hat W. Pannenberg deutlich mit dem Urteil Bezug genommen: „Doch ist gerade fraglich, ob man angesichts des Todes überhaupt sinnvoll von einer Vollendung individueller Existenz sprechen kann, ob nicht vielmehr der Tod alle Vollendung so radikal zunichte macht, daß Vollendung — wenn überhaupt — nur jenseits des Todes möglich wäre”.40 Was aber das hier vor allem gefragte Verhältnis zu Thomas von Aquin angeht, so zeigt es bei den Vertretern der Theorie von der „Auferstehung im Tode” eine deutliche Zwiespältigkeit. Obgleich auch sie Thomas ob seiner Großtat der Natureinigung von Leib und Seele loben, so vollziehen sie doch inhaltlich eine Abkehr von seiner Leib-Seele-Lehre, die sich worthaft wieder bis zum Vorwurf des Dualismus steigert,41 vor dem sie 37 G. GRESHAKE - G. LOHFINK, a.a.O., 116. 38 K. RAHNER, Ostererfahrung: Schrißen zur Theologie VII, Einsiedeln 1966, 165. Die Wendung erinnert an Platons Begriff des Todes als Befreiung der Seele aus dem Leib als Kerker der Seele. 39 Vgl. J. RATZINGER, Eschatologie, 134. 40 W. PANNENBERG, Tod und Auferstehung in der Sicht christlicher Dogmatik, in: Kerygma und Dogma 20 (1974) 175 ff. 41 G. GRÈSHAKE - G. LOHFINK, Nahenvartung - Auferstehung - Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie (Quaest. disp. 71) Freiburg 31978,94.

Next

/
Thumbnails
Contents