Folia Theologica 3. (1992)
Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin
ZUR UNSTERBLICHKEITSPROBLEMATIK 63 siverer Weltbezug der Geistseele nicht erklärt30 und die von Rahner gestellte Forderung nach der verbleibenden Formkraft der Seele nicht erfüllt werden kann. Tatsächlich wurde diese These in den letzten Jahren von Rahner aufgegeben und das Anliegen der Unzertrennlichkeit von Leib und Seele auch im Tode mit einer anderen Theorie in Verbindung gebracht, nämlich mit der der sogenannten „Auferstehung im Tode”.31 Ihr Entstehen erfolgte nicht ohne Kontaktnahme mit der zeitgenössischen evangelischen Theologie, die sich allerdings in Annäherung und Distanzierung zugleich vollzog. Man kann das Anliegen der evangelischen Theologie32 des zwanzigsten Jahrhunderts in der Frage nach dem Endschicksal des Menschen, auf das hier nur kurz eingegangen werden kann, generell dahingehend charakterisieren, daß es ihr um eine Abkehr von der aufklärerischen, durch die liberale Theologie des neunzehnten Jahrunderts emporgetragenen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele geht, die mit Recht gnadentheologisch als unzureichend und gefahrvoll erachtet wurde. So konnte u. a. O. Cull- mann als Exeget an die katholische Theologie, die ihm von dieser einseitigen Lehre auch beeinflußt schien, die Frage richten, ob sie nicht das 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes, das von der Auferstehung des Leibes spricht, dem Phaidon Platons geopfert hätte.33 Wenn man die beachtenswerte Intention der diesbezüglich evangelischen Versuche etwas generalisierend charakterisieren will, so darf man sie als Entgegensetzung von Unsterblichkeit und Auferstehung bezeichnen. An Stelle der Unsterblichkeit, die platonischer Herkunft und Ausdruck einer angemaßten Selbst30 Vgl. zur Kritik N. A. LUYTEN, Todesverständnis und Menschenverständnis. Zum Todesverständnis von K. Rahner und L. Boros: Tod - Ende oder Vollendung? (Grenzfragen 10, hrsg. von N. A. Luyten) Freiburg 1980,167; ders.,Mensch- Sein als Aufgabe, Freiburg/Schweiz 1985, 236-245. 31 So bei G. GRESHAKE - G. LOHF1NK, Naherwartung - Auferstehung - Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie (Quaest. disp. 71) Freiburg 41982. Zur Diskussion dieser Theorie vgl. J. RATZINGER, Esclw- tologie - Tod und ewiges Leben, Regensburg 1977,148-160; A. ZIEGENAUS, Auferstehung im Tod: Das geeignetere Denkmodell?, in: Münch, theol. Zt. 28 (1977) 109-132; H. VORGRIMLER, Hoffnung und Vollendung. Aufriß der Eschatologie (Quaest. disp. 90) Freiburg 1980, 81; 151-154. 32 Vgl. A. AHLBRECHT, Tod und Unsterblichkeit in der evangelischen Theologie der Gegenwart, Paderborn 1964, 44-78. 33 O. CULLMANN, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Antwort des Neuen Testamentes, Stuttgart 31964,12.