Folia Theologica 3. (1992)

Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin

60 L. SCHEFFCZYK leskommentatoren, besonders von Avicenna, nicht unwesentlich dadurch unterschied, daß er die Geistseele als einzige Form des Leibes festhielt, die virtuell die sensitive und vegetative Seele und alle anderen niederen Formen in sich enthalte16 (S. th. I q. 76 a. 4). Es kommt dabei sogar zu dem Zugeständnis, daß die Einheitsauffassung von Leib und Seele bei Thomas eine „dem biblischen Verständnis von der Einheit des Menschen entsprechende Auffassung” sei.17 Schließlich wird auch gesagt, daß der thomasische Begriff der „anima” bereits „die thomistische Entsprechung zum modernen Verständnis von »Subjektivität« und »Dasein«” sei.18 In all dem findet sich eine Anerkennung der thomasischen Anthropologie ausgesprochen. Sie besagt, daß die These des Thomas von der „anima unica forma corporis” jeden Dualismus abgestreift hat, was bedeutet, daß Seele und Leib nicht „zwei Wirklichkeiten”19 im Menschen sind, sondern daß Mensch­sein nur in der lebendigen Leib-Seele-Einheit des Menschen besteht. So wird dann auch gesagt, daß Thomas den platonisch-neuplatonischen Dualismus in der Anthropologie überwunden habe. Aber merkwürdigerweise kommt es danach zur kritischen Absetzung von Thomas, wo es sich um die Anwendung seiner als nichtdualistisch anerkannten Leib-Seele-Lehre auf die Eschatologie handelt, d. h. auf jenen Fragekreis, in dem es um Tod, Fortexistenz und Vollendung des Menschen geht. Das ist ein Vorgang, der einer eigenen Erörterung bedarf. 2. Die Abwendung von Thomas in der Eschatologie Hier erfolgt zunächst, vielfach ohne Namensnennung, die Kritik an der allgemeinen, auch thomasischen Formel von Tod als „Trennung von Leib und Seele”, weil wegen der Einheit des Seins der ganze Mensch nach Leib und Seele vom Tod betroffen werden müsse und weil der Tod überhaupt nicht als Abbruch der Zeit durch eine geschichtsverneinende Jenseitigkeit verstanden werden dürfe, sondern gleichsam als Vollendung der in der Zeitlichkeit angebahnten Aufwärtsbewegung zu einer überzeitlichen Endgültigkeit.20 16 Vgl. ebd., 610. S. th. I q. 76 a. 1 und 3. 17 Ebd., 610. 18 Ebd., 613. 19 Ebd., 611. 20 G. GRESHAKE - G. LOHFINK, Naherwartung-Auferstehung-Unsterblich­keit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie (Quaest. disp. 71) Freiburg 41982, 116.

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