Folia Theologica 3. (1992)

Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin

ZUR UNSTERBLICHKEITSPROBLEMATIK 59 und sie sachgemäß weiterzudenken. Freilich ist an diesem Punkt die Frage nicht zu unterdrücken, ob dieses Verstehen in Unmittelbarkeit vor der Gefahr des Subjektivismus gefeit ist. Aber in der neuen Thomasinterpretation hat dieses Vorgehen Schule gemacht, selbst dort, wo man den transzendentalen Ansatz Rahners wegen seiner nicht geklärten Beziehung zur äußeren Geschichte und ihren konkreten Erfahrungen zurücktreten ließ und die Subjektivität stärker als Geschichts-, als Zeit- und Zukunftsbewußtsein artikulierte.11 Geschichte wird dabei verstanden als Wech­selspiel zweier Freiheiten, der des Menschen und der Gottes, wobei Gott in der Geschichte die menschliche Freiheit umfängt, ermächtigt und zu einem ge­schichtlichen Ziel führt.11 12 Auch diese mehr dialogisch-geschichtliche Auffas­sung der Subjektivität beruft sich auf Thomas, besonders auf seine Auffassung von der geistigen Wesensform, dem Lebens- und Gestaltprinzip, also von der Seele in der Leib-Seele-Lehre; denn an ihr könne man erkennen, daß der Mensch kein passives substantielles Dasein sei, sondern daß er ein Akt sei, der alle in der geistigen Form angelegten Möglichkeiten entfalten und so erst zu seinem vollen Sein kommen könne.13 Darum wird auch die hylemorphistische Lehre von Materie und Form, die Thomas von Aristoteles übernommen hatte, als Ausdruck der Einheit und der Dynamik des Menschen positiv gewürdigt. So erkennt der Theologe J. B. Metz in der thomasischen „anima” jenes Seiende, in dem sich alles Sein abzeichnet und spiegelt. In diesem Zusam­menhang wird der Ausdruck des Thomas „anima quodammodo omnia”14 (= die Seele ist in bestimmter Weise das Ganze, weil sie nämlich das Ganze aufzunehmen vermag) gern und beifällig zitiert. Darum wird auch aner­kannt, „daß die eigentliche Durchbrechung der neuplatonisch-augustini- schen Auffassung vom Menschen erst durch die Übernahme und Verwand­lung aristotelischer Kategorien bei Thomas von Aquin geleistet wird”.15 Es wird ebenso positiv vermerkt, daß Thomas sich auch von den Aristote­11 Vgl. dazu G. GRESHAKE, Auferstehung der Toten. Ein Beitrag zur gegenwär­tigen theologischen Diskussion über die Zukunft der Geschichte, Essen 1969. 12 Ebd., 338. 13 G. GRESHAKE, Historie wird Geschichte, Essen 1963, 91-100. 14 Die Formel findet sich bei Thomas in mancher Abwandlung; so in De anima HI,8; „Et similiter anima data est homini loco omnium formarum, ut sit homo quodammodo totum ens, inquantum secundum animam est quo­dammodo omnia." 15 Fr. P. FIORENZA - J. B. METZ, a.a.O., 610.

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