Folia Theologica 3. (1992)
Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin
58 L. SCHEFFCZYK zur Welt und als Rückkehr zu sich selbst, als sogenannte „reditio completa in seipsum”5 versteht. Die Subjektivität wird damit noch näher bestimmt als Sein im Vollzug, das eine gewisse Kreisbewegung vollführt und im Erkennen und Lieben von Welt und Gott auf höhere Weise zu sich selbst kommt und so an Sein gewinnt. Die so verstandene Anthropozentrik geht zuletzt auf Karl Rahner zurück, der ihr allerdings noch eine tiefere ontologische Begründung gibt durch die transzendental-philosophische Rückführung auf die Bedingungen der Möglichkeit dieser dynamischen Subjektivität des Menschen oder auf ihr Apriori.6 Dieses ist in einer ursprünglichen Einheit von Sein und Erkennen gelegen. Im Erkennen nämlich kommt das Sein zu sich selbst und wird zum sogenannten „Bei-sich-Sein”, das die Subjektivität des Menschen ausmacht.7 Diese existiert im dynamischen Vollzug auf das Absolute hin, welches diesem Zug freilich schon innewohnt und die Kraft zur sogenannten „aktiven Selbsttranszendenz” des Menschen darstellt.8 Auch Rahner findet diese apriorischen Grundlagen bei Thomas vorgebildet in dessen Lehre von der Spotaneität des Intellektes und von der Austauschbarkeit von Sein und Wahrsein oder Erkanntsein. Aber Rahner gibt zu, daß diese Interpretation nicht die alte Art der historischen Thomasdeutung ist, wie sie die Mediävistik und der Thomismus vertraten. Er sagt darüber: „Wir nehmen uns daher das Recht, ihn [Thomas] unmittelbar zu verstehen, ohne uns auf seine Kommentatoren und das Zeugnis seiner Schule zu berufen und ohne uns mit der geschichtlichen Herkunft seiner Lehre zu beschäftigen”.9 Man hat diese Art des Verstehens eine „phänomenologische Hermeneutik”10 genannt, die sich zum Ziel setzt, in Unmittelbarkeit zum vorgegebenen Autor oder Text, die wesentlichen Gehalte aufscheinen zu lassen 5 De ver 1,9 co; 8,6 sed contra 5; 10,9 co; In Caus. 15. 6 K. RAHNER, Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin, Innsbruck 1939,21964 (überarbeitet von J. B. Metz); ders., Hörer des Wortes. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie, München 1941 (überarbeitet von J. B. Metz 21963). 7 K. RAHNER, Hörer des Wortes, 55; Geist in Welt, 82 f. 8 Vgl. H. VORGRIMLER, Der Begriff der Selbsttranszendenz in der Theologie K. Rahners: Wagnis Theologie (hrsg. von H. Vorgrimler) Freiburg 1979,242-258. 9 Ebd.,11. 10 L. DÜMPELMANN, Überlegungen zur phänomenologischen und transzendentalen Fragestellung beim frühen Heidegger: Wagnis Theologie, 186.