Folia Theologica 2. (1991)
László Boda: Aspekte zur Theologie der Selbstverwirklichung
86 L. BODA Kaum zu leugnen, dass die Selbverwirklichung die zurückhaltende Reaktion vieler Christen und nicht weniger Theologen provoziert. Darüber spricht bereits der Münchener Psychiater W. Tochtermann in seinem Buch Der Weg zu Sich.5 Die härteste Kritik wurde von Harvey Cox formuliert. Er meint, dass die modernen psychotherapeutischen Richtungen und Begriffe (z.B. Identität, Selbstverwirklichung) sich überaus auf das EGO konzentrieren. Dadurch spukt im Bereich der modernen Psychotherapie von neuem der Geist der Narzissmus.6 Das Wort Selbtsverwirklichung wird wahrhaft vom Schatten der verdächtigen Assoziationen begleitet: wie z.B. „Selbstsucht”, die für uns unannehmbare „Selbsterlösung” usw. Ausserdem scheint sie ein solcher Begriff zu sein, der sich der „Askese”, der „Selbstverleugnung”, sogar auch dem „Kreutz” entgegen stellt. Diese Assoziationen sind aber einseitig und ein Terminus technicus ist fast immer unvollkommen, besonders wenn sein Inhalt so reich an Bedeutungen wie die Selbstverwirklichung ist. Also stellt sich die Frage: was bedeutet dieser Begriff für die christliche Lebensauffassung? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, um die Selbstverwirklichung in Theologie authentischerweise zu integrieren? — S. R. Dunde erwähnt in seinem beachtungswerten Aufsatz nicht, dass die vielleicht entsprechendste tiefenpsychologische Basis für die christliche Interpretation das Modell von Jung wäre. Die Selbstverwirklichung bedeutet bei C. G. Jung den Prozess der „Individuation”, d. h. die Entwicklung der Persönlichkeit vom „Ich” bis zum „Selbst”.7 Dieses „Ich” ist eigentlich der Träger des Kerns der unhumani- sierten Menschlichkeit, der Selbstsucht, der Habgier und der egozentrischen Lust. Vom Aspekt der Theologie aus ist also dieses „Ich” der Träger der Konkupiszenz. Das „Selbst” dagegen bedeutet theologisch den Kern unserer individuellen und authenthischen, von Gott angesprochenen Persönlichkeit. Es scheint allerdings, dass das tiefenpsychologische Persönlichkeitsmodell von Jung allein authentisch ist, um die Selbstverwirklichung theologisch interpretiert werden zu können, mindestens im Vergleich zu den 5 München/Basel, 1961, 14—15. 6 Teich des Narzissus — Psychologisierung der Meditation, in Cross Currents 27 (1977) 16—28. 7 Vgl. GRÜN, A., Das Kreuz und die Selbstverwirklichung des Menschen nach C. G. Jung, in Theologie der Gegenwart (1976) 87—96.