Folia Theologica 2. (1991)
Peter Henrici: Kann es heute eine christliche Kultur geben?
68 P. HENRICI — und doch gäbe es ohne die Philosophie keine Glaubensverkündigung an die „Griechen”, wie die Areopagrede exemplarisch vor Augen stellt, und es gäbe vor allem keine christliche Theologie — auch Theologie ist ein griechisches, von Platon geprägtes Wort. Auf unser Problem umlegt: das Christentum braucht ganz grundlegend kulturelle Elemente; doch es schafft diese Elemente nicht, sondern übernimmt sie. In der Übernahme durch das Christentum wird jedoch die griechische Philosophie, zweitens, tiefgreifend umgestaltet. Die Areopagrede unterlegt noch recht naiv ihren Zitaten aus einem stoischen Vulgärpantheismus einfach eine jüdisch-christliche Schöpfungstheologie (wie wir sie ähnlich im Weisheitsbuch finden). Später wird die Sache problematischer. Der Platonismus musste in ebenso subtiler Weise uminterpretiert werden als er sich der Uminterpretation widersetzte; die „Irrtümer” des wohl grössten aller Theologen, Origenes, sind wohl gerade aus dieser Widerständigkeit des Platonismus zu erklären. Wie dennoch aus Plato schliesslich ein „Plato Christianus” werden konnte, zeigt uns das schöne Buch eines ungarischen Autors, Endre von Ivánka. Noch schwieriger gestaltete sich die Sache mit Aristoteles. In den ersten christlichen Jahrhunderten bildete seine Philosophie vor allem eine Quelle von Häresien,5 und erst die Notwendigkeit, auf den um sich greifenden Averroismus zu antworten und mit der arabi-schen Philosophie und Theologie ins Gespräch zu kommen, veranlasste im 13. Jahrhundert Thomas von Aquin zu jener Arbeit, die man etwas obenhin als „Taufe” des Aristoteles bezeichenet. Da es sich jedenfalls um eine Erwachsenentaufe handelte, musste dieser Taufe eine tiefgreifende Bekehrung vorasugehen: Die Philosophie des Thomas von Aquin ist ein durch den Schöpfungsbegriff derart radikal „umgedachter”, ja umgekrempelter Aristotelismus, dass es sich um eine ganz neue Philosophie handelt. Es hat denn auch gut 250 Jahre gebraucht, bis sie anfing, sich durchzusetzen. Sie ist genuin philosophisch, weil sie sich an die strenge Logik und Folgerichtigkeit des Aristoteles hält und seinem Ideal der Epstême, des begründeten und begründbare Wissens folgt; ja weitgehend stellt sie sich überhaupt als Kommentar zum Aristoteles dar. Dieser Kommentar ist aber zugleich 5 Vgl. dazu F. M. SLADECZEK, Die spekulative Auffassung vom Wesen der Einheit in ihrer Auswirkung auf Philosophie und Theologie (mit besonderer Berücksichtigung der aristotelischen Auffassung) in Scholastik 25 (1950) 378-382.