Folia Theologica 2. (1991)
Peter Henrici: Kann es heute eine christliche Kultur geben?
66 P. HENRICI anhäuft, wobei er, wie wir gleich hören werden, durchaus zu nüancieren weiss: „In erster Linie muss die Kirche anerkennen, dass sie in kultureller Hinsicht, ’arm’ ist, und sie muss darum auch immer mehr arm sein wollen. Ich spreche hier nicht von der materiellen Armut, sondern von einer spezifischen Konsequenz aus der evangelischen Armut gerade im Bereich der kirchlichen Kultur. Auch in diesem Bereich, wie in dem der Institutionen und der kirchlichen Besitzungen, bewahrt die Kirche gewisse Reichtümer einer glorreichen, aber vielleicht nicht mehr zeit- gemässen Vergangenheit (scholastisches System in Philosophie und Theologie, Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, akademische Forsqhungs- und Lehrmethoden). Die Kirche muss notfalls den Mut aufbringen, auf diese Reichtümer zu verzichten oder wenigstens sich nicht allzuviel darauf einzubilden, sich ihrer nicht zu rühmen und sich immer weniger darauf zu stützen; denn diese stellen das Licht der evangelishcen Botschaft nicht immer auf den Leuchter, sondern verstecken es oft eher unter dem Scheffel; sie können der Kirche hinderlich sein bei dem Bemühen, sich den wahren Werten der modernen Kultur und der alten nichtchristlichen Kulturen zu öffnen; sie können die Universalität ihrer Sprache eingrenzen, entzweien, statt zu einigen, und viel mehr Menschen fernhalten als anziehen und überzeugen. Ich will natürlich nicht eine rein negativ verstandene theologische und kulturelle Armut für die Kirche als Ideal hinstellen. Auch im Bereich der Kultur gilt die Unterscheidung von evangelischer und menschenunwürdiger Armut. Letztere ist nicht das Ideal: nicht Unwissenheit oder Armseligkeit, sondern Schlichtheit und Gespür für die Grenzen und bei alldem geistige Beweglichkeit, Hochherzigkeit und Mut, neue Wege zu begehen, auch wenn dies mit Risiko verbunden ist, Zucht und intellektuelle Demut, die zugleich wirkliche übernatürliche Weisheit wie auch Sinn für das Heute und echter historischer Realismus ist. Dieser Verzicht auf das kulturelle Erbe ist nicht Selbstzweck, sondern ein Weg zum Erwerb neuen Reichtums und, menschlich betrachtet, zu tieferen geistigen Einsichten und einem kritischeren Sinn".4 Diese vor 25 Jahren gesprochenen Worte sind hier, in Ungarn, nach Jahrzehnten sozialistischer Herrschaft, sicher nicht als Programm zu ver4 Deutscher Text in LThK ^1968, Das zweite Vatikanische Konzil III., S. 465-466.