Folia Theologica 2. (1991)

Peter Henrici: Kann es heute eine christliche Kultur geben?

62 P. HENRICI „Vielleicht können wir dies zusammenfassend so ausdrücken: es gilt - und zwar nicht nur dekorativ wie durch einen oberflächlichen Anstrich, sondern mit vitaler Kraft in der Tiefe und bis zu ihren Wurzeln -, die Kultur und die Kulturen des Menschen im vollen und umfassenden Sinn, den diese Begriffe in Gaudium etSpes haben, zu evangelisieren, wobei man immer von der Person ausgeht und dann, stets zu den Beziehungen der Personen untereinander und mit Gott fortschreitet. Das Evangelium und somit die Evangelisierung identifizieren sich natür­lich nicht mit der Kultur und sind unabhängig gegenüber allen Kulturen. Dennoch wird das Reich, das das Evangelium verkündet, von Menschen gelebt, die zutiefst an eine Kultur gebunden sind, und kann die Errichtung des Gottesreiches nicht darauf verzichten, sich gewisser Elemente der menschlichen Kultur und Kulturen zu bedienen. Unabhängig zwar gegen­über den Kulturen, sind Evangelium und Evangelisierung jedoch nicht notwendig unvereinbar mit ihnen, sondern fähig, sie alle zu durchdringen, ohne sich einer von ihnen zu unterwerfen. „Der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche, wie es auch das anderer Epochen gewesen ist. Man muss somit alle Anstrengungen machen, um die Kultur, genauer die Kulturen, auf mutige Weise zu evangelisieren. Sie müssen durch die Begegnung mit der Frohbotschaft von innen her emeurt werden. Diese Begegnung findet aber nicht statt, wenn die Frohbotschaft nicht verkün­det wird.” Damit ist das Thema unseres heutigen Vortrags gegeben. Wir fragen uns hier nicht - theologisch -, wie die heutige Kultur, ganz konkret unsere mitteleuropäischeJCultur vom Ende des 20. Jahrhunderts zu evangelisie­ren sei, sondern ich möchte mit Ihnen die grundlegendere - philosophische - Frage erörten, ob das Ziel dieser Evangelisierung eine eigentlich „christliche Kultur" sein kann; ob und wie so etwas wie eine „christliche Kultur” hier und heute, in Mitteleuropa am Ende des 20. Jahrhunderts, überhaupt denkbar ist. 1. Die Fragestellung Um diese Frage zu erörtern, muss ich etwas weiter ausholen und zunächst das Für und Wider bejahenden Antwort kurz abstecken.

Next

/
Thumbnails
Contents