Folia Theologica 2. (1991)
Peter Henrici: Kann es heute eine christliche Kultur geben?
FOLIA THEOLOGICA 2 (1991) 61 Peter HENRICISJ. KANN ES HEUTE EINE CHRISTLICHE KULTUR GEBEN? Das II. Vatikanische Konzil hat seiner abschliessenden Pastoralkonstitu- tion Gaudium et Spes sozusagen in letzter Minute ein Kapitel eingefügt über „Die richtige Förderung des kulturellen Fortschritts”. Dass dieses Kapitel aus dem Dokument über das Laienapostolat, für das es ursprünglich vorgesehen war, herausgelöst und in die viel umfassendere und grundlegendere Pastoralkonstitution eingefügt wurde, zeigt jedenfalls das Interesse des Konzils am Thema der Kultur und die Bedeutung, die es der Kultur beimisst. Umso mehr erstaunt der fast zögernde Zugang zu diesem Thema. Die Kultur wird als etwas gesehen, was jedenfalls ganz dem weltlichen und nicht dem kirchlichen Bereich zugehört; als etwas Vorgegebenes, womit die Christen nun einmal leben müssen, und was sie bestenfalls „in rechter Weise fördern” können und müssen. Die Frage einer genuin christlichen, ja kirchlichen Kultur erscheint wie ausgebelendet - als scheuten sich die Konzilsväter, sich der Frage einer christlichen Kultur überhaupt zu stellen, geschweige denn die Forderung nach einer neuen christliclfert Kultur zu erheben - vielleicht aus Furcht vor kirchlichem Triumphalismus (wir erinnern uns an die warnende Ansprache Kard. Suenens zum Konzilsbeginn vielleicht, um nicht aus einer einseitig europäischen Perspektive zu sprechen. Doch die Frage nach einer christlichen Kultur würde neben West- und Osteuropa zumindest ebensosehr Nord- und vor allem Südamerika betreffen, d.h. den weitaus grössten Teil der christlichen Welt. Eines der wichtigsten Dokumente der Nachkonzilszeit - m. E. vielleicht das wichtigste - die Exhorte Papst Pauls VI. „Evangelii Nuntiandi” von 1975 spricht dann in Nr. 20 ausdrücklich von einer „Evangelisierung der Kulturen”: nicht bloss einzelne Personen und Menschengruppen, sondern die Kulturen selbst müssen durch die Verkündigung des Evangeliums von innen her umgestaltet werden. Nehmen wir uns die Zeit, diesen wichtigen und grundlegenden Text des kirchlichen Lehramts zu lesen: