Folia Theologica 2. (1991)
Péter Erdő: "Aequitas" im geltender Kirchenrecht
AEQUITAS 111 enim aliud est aequitas quam Deus” — heißt es in der berühmten anonymen Bologneser Glosse des Fragmentum Pragense,8 Und eben dies macht — nach der überzeugenden These von Pio Fedele — die spezifische Bedeutung der aequitas canonica aus. Diese aequitas wird als Synonym für Gott betrachtet.9 Weil aber die mit- telalterlichen Kommentatoren des römischen Rechts - ihrerseits den Ansatz der vom hl. Isidor von Sevilla10 bezeugten Tradition aufgreifend — auch die Natur und sogar das Naturrecht mit Gott gleichgesetzt haben,11 können auch die modernen Kirchenrechtler den gemeinsamen Bezugspunkt von aequitas und Naturrecht in Gott entdecken, wo die beiden sich identifizieren.12 Im Sinne des Gesagten kann man die Epikie bei Platon als Einzelfallgerechtigkeit verstehen, die aber noch nicht ausdrücklich die spätere Bedeutung einer wohlwollenden Auslegung hat.13 Man kann also die Bedeutung der Epikie — wie auch die der späteren lateinischen aequitas — keineswegs auf eine bloße Interpretationsregel reduzieren, die die Strenge des allgemeinen Gesetzes im Einzelfall mildert.14 Die platonische Epikie beschränkt sich nicht auf eine nachsichtige Auslegung der Rechtsnormen. Die Nachsicht ist nur eine Seite der Epikie. Die Epikie bei Platon steht nicht außerhalb des Rechtes, stellt aber eine dem positiven Recht gegenüberstehende eigene Rechtsphäre dar, im Sinne des späten römischen Rechtes, wo ius strictum und ius aequum als Gegensätze Vorkommen, und nicht wie im klassischen römischen Recht, wo aequitas als ein internes Element des positiven Rechtes betrachtet wurde.15 Somit ist schon die rechtssprachliche Problematik des heutigen kanonischen Rechtes gegeben. 8 Fragmentum Pragense IV, 2: FITTING, H., Juristische Schriften des frühen Mittelalters, Halle 1876 (Nachdr. Aalen 1965), 216. 9 FEDELE, P., Equità canonica, in Enciclopedia del diritto, XV, Milano 1966,147. 10 Etymologiarum Libri XX, X, 7 .Aequus est secundum naturam iustus dictus”): SAN ISIDORO DE SEVILLA, Etimologías. Edición bilingue, ed. OROZ RETA, J.—MARCOS CASQUERO, M. A. (BAC 433), Madrid 1982, 804. 11 Beispile siehe bei WICHERT L 52—55. 12 FEDELE, P., Aequitas canonica, in Apollinaris 51 (1978) 417. 13 Vgl. GUARINO, A, Equità, in Novissimo Digesto Italiano VI, Torino 1960,620,624. 14 CALASSO, F., Introduzione al diritto comune, Milano 1951, 166. 15 CALASSO, F., Lezioni di storia del diritto italiano. Le fonti del diritto (sec. V—XV), Milano 1948, 232.