Folia Theologica 2. (1991)

Péter Erdő: "Aequitas" im geltender Kirchenrecht

110 P.ERDÓ Vergleich des Sinnes der einzelnen canones. Die richtige Deutung dieser Stellen setzt natürlich einen kurzen Hinweis auf ihren geschichtlichen bzw. philosophischen Hintergrund voraus. n. Geschichtliche Vorbemerkungen Es ist üblich, in dem kanonistischen Begriff der aequitas vorwiegend eine Erbschaft des aristotelischen und des römischrechtlichen Gedankengutes zu sehen.3 Man muß jedoch hinzufügen, daß die Epikie schon im Sinne von Platon ein juridisches Prinzip darstellt,4 sofern sie mit der wahren Gleichheit zusammenfällt. Nach den jüngsten Forschungen und der Synthese von Bernhard Wiehert5 kann man den Epikie-Begriff bei Platon folgenderweise darstellen: Für Platon ist die Gleichheit das Ziel, das Urprinzip und die Substanz des Rechtes. Die so verstandene Epikie ist keine Abweichung vom Recht, sondern eine Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichtes in solchen Fällen, wo die strikte Anwendung der positiv rechtlichen Normen von der idealen Gerechtigkeit abweicht.6 Die platonische Epikie bringt also die perfekte Gerechtigkeit und die wahre Gleichheit zur Geltung in Situatio­nen, wo die Legalgerechtigkeit unbillig wäre. Durch dieses Zusammenfal­len mit der wahren Gleichheit und der vollen Gerechtigkeit (und somit auch mit dem wahren, idealen Recht) wird die Epikie mit Gott selbst identifiziert.7 Somit hat Platon geistesgeschichtlich vorbereitet, was im Mittelalter von den Glossatoren des römischen Rechtes mit voller Klarheit formuliert wurde, daß nämlich die aequitas mit Gott identisch ist; „nihil 3 Siehe z.B. LEFEBVRE, C., Équité, in Dictionnaire de Droit Canonique, V, Paris 1953, 394—410, besonders: 394—395. 4 Dazu siehe die reichlich dokumentierte Doktorarbeit von Bernhard WICHERT (Die Epikie bei Platon und Aristoteles, die Äquitas im römischen Recht und die christliche Misericordia. Zu den Grundlagen der „aequitas canonica" des Decretum Gratiani. Eine rechtphilosophisch-historische Untersuchung. Pon­tificia Universitas Gregoriana, Rom 1991, Maschinschrift). 5 Vgl. Note 4. 6 Vgl. CARON, P. G., Aequitas Romana, Misericordia Patristica ed Epicheia Aristotelica nella Dotlrina dell'Aequitas Canonica, Milano 1971, 3. 7 Vgl. Nom IV, 761c—d usw.

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