Folia Theologica 1. (1990)
László Vanyó: Die Christologia des Gregor von Nyssa als Mittelweg zwischen Antiochien und Alexandrien
DIE CHRISTOLOGIE DES GREGORS VON NYSSA 109 die eigene Ansichten aus den gegen uns angeführten Anklagen schöpfen möchten?"16 Wenn man die Frage stellt, wo diese Einung nach Gregor zustandekommt, bleibt möglich nur jene Antwort: in der Exaltation, in der Kreuzigung und Auferstehung. Verkündigung und Geburt ist nicht erwähnt. Obwohl der Nyssener von der Empfängnis und Geburt Christi hier kein Wort spricht, bedeutet es doch keineswegs, dass er die Verkündigung abseits schieben will, im Gegenteil, in dem Antirrhetikos wird er auf sie oft verweisen. Die Übertragung der göttlichen Eigenschaften auf die menschliche Natur ist aber am klarsten wahrnehmbar im auferstandenen Herrn. Vereinigung von Hirten und Schaf- Beachtenswert ist jene Auslegung der Parabel von verlorenem Schafe, die Gregor diesmal zu diesem Gleichnis knüpft. Nachdem er die Vereinigung der zwei Naturen in Christus mit Sprüche 9,1 "die Weisheit hat ihr Haus gebaut" veranschaulichte, wobei er die Tätigkeit der Weisheit auf die Vermischung des Logos mit dem aus der Jungfrau genommenen Staub von Erdenboden verstand, greift er das Bild von verlorenem Schafe (oder dem sein Schaf aufnehmenden Hirten) auf. Diese Parabel wurde von ihm auch in seinen anderen Schriften erklärt, nur es ist ganz einzigartig jene Auslegung, die er in dieser Schrift gibt. Die Originalität dieser Erklärung stellt sich sofort heraus, wenn man sie mit jener des geistigen Vorgängers Gregors vergleicht. Origenes hat diese Parabel als den Ausdruck der ursprünglichen Zugehörigkeit der Menschheit zu den reinen und himmlischen Geistern aufgefasst. Im Antirrhetikos stellt Gregor mit ihr die Vereinigung der zwei Naturen in Christus und die Vollständigkeit der menschlichen Natur des Erlösers dar: "Wer schon wüsste nicht das göttliche Geheimnis, dass der Urheber unserer Rettung als Hirt dem verirrten Schafe nachgeht? Wir aber, die Menschen, sind jenes Schaf, die wir uns durch die Sünde von der Weide der geistigen Hundertschaften entfernt haben. Und er nimmt das Schaf ganz auf seine eigenen Schultern; denn die Verirrung bestand ja auch nicht bloss in einem Teil des Schafes, sondern da es ganz davonlief, wird es auch ganz zurückgeholt; es wird nicht etwa nur das Fell getra16. GNO III, 1. S. 126, 15-128, 15.