Folia Theologica 1. (1990)
László Vanyó: Die Christologia des Gregor von Nyssa als Mittelweg zwischen Antiochien und Alexandrien
110 L. VANYÓ gen, das Innere aber liegengelassen, wie Apolinarius will. Dies aber, das auf die Schultern des Herrn, das ist, in die Gottheit des Herrn gelangt ist, wird durch die Annahme eins mit ihm. Deswegen nahm er, da er das Verlorene zu suchen und zu retten kam, als er das Gesuchte fand, das Gefundene zu sich auf; denn das Schaf bewegte sich nicht mehr mit den eigenen Füssen, die einmal in die Irre gelaufen waren, sondern wird von der Gottheit getragen.17 Das Sichtbare ist darum das Schaf, d.h. der Mensch, die Spur seiner Füsse aber- wie die Schrift sagt- wurden nicht erkannt. (Ps 76,20). Kein Zeichen der Irre und der Sünde hat er in seinem Menschenleben gezeigt, der das Schaf an sich getragen hat, im Gegenteil, wie es ziemte, liess er die gotteswürdige Spur seines Le- beswandels ausdrücken, liess er jene aufscheinen, wie die Lehre, die Heilungen, die Totenerweckungen, und die übrige Wunder. Als der Hirt dieses Schaf zu sich aufnahm, wurde er mit ihm eins, darum spricht er zu den Schafen mit der Stimme des Schafes, wie könnte sonst die menschliche Schwäche die Stärke der göttlichen Stimme ertragen? Er hat mit uns darum "menschlich" , man könnte sagen "schafartig", gesprochen, wie er selbst gesagt hat: "Meine Schafe hören meine Stimme" (Joh 10,27). Der Hirt also, der das Schaf zu sich aufgenommen hat, ist zugleich Schaf und Hirt, in dem Aufgenommenen Schaf, in dem Aufnehmenden Hirt".18 In diesem Text sind eigentlich eine Parabel vom verlorenen Schafe, die befindet sich in Mt 18,12-14 und Lk 15,3-7, und eine Allegorie vom guten Hirten, die in Joh 10 zu finden ist, miteinander verwoben, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass Gregor noch auch andere Quelle bei der Auslegung ausgewertet hat.19 Am Anfang der Auslegung Gregors sind die Hinweise auf die Parabel von Mt 18,12-14 vorherrschend, die Mitte ist das Auffinden oder Aufnehmen des Schafes, was die Einung des Schafes und des Hirten, d.h. die Menschwerdung bedeutet wobei die dem Schafe gesagte Wörter besonderen Nachdruck gewinnen, indem 17. Bisher die Übersetzung von R. HÜBNER, Die Einheit S. 136-137. 18. Parallelstelle: GNO III,1 S. 151,30-152,29; 11,385,10-25; 386,4-14; De tridui spatio IX, 292,2-6; 3VIII, 11,26,5-6 ; In Eccl. V,304-305. Bei Origenes: In Jer Hom.frgm.28 GCS 111,212,20-213,1. 19. Der Hirt spricht zu dem gefundenen Schafe im Thomas - Ev.log.107. ähnliche Gedanken in den übrigen Schriften Gregors, z.B. die Einheit von Bewegung und Ruhe, Vita Moysis GNO VII,1,S. 188,4, Thomas - Ev. log. 50.