Folia Theologica 1. (1990)
László Vanyó: Die Christologia des Gregor von Nyssa als Mittelweg zwischen Antiochien und Alexandrien
106 L. VANYÓ dem Begriff der Tugend nicht widerspricht, kann man sie schon als metaphysisch möglich ansehen.12 Die Vermittlung der Eigenschaften nach Gregor- In dem Brief an Theophil verteidigt sich der Nyssener gegen die Verdächtigung der Apolli- naristen, nach der er die Doppelsohnschaft verkündet. Zur Selbstrechtfertigung erörtert Gregor seine Auffassung von der Incarnation und der Vermittlung der Eigenschaften. Die Incarnation beschreibt er als Niedersteigen des Logos in die Menschheit, was ein gewisses "Sichverkleinern", "Sichzusammenzie- hen" von Seiten des göttlichen Wortes voraussetzt (eavxov ovore'iXao). Diese Verkleinerung des Logos ist auch "Kenösis" genannt.13 Während der Fleischwerdung macht sich der wahre Arzt zur Schwäche und zur Krankheit, weil unsere Natur mit der Schwäche wesensgleich ist. Wenn der Nyssener von Verkleinerung und Zusammenziehung des Logos spricht, ist es so zu verstehen, als Tat des Sohnes, welche Aktivität keine Veränderung hinsichtlich seines Wesens nach sich zieht. Die freiwillige Selbstbeschränkung des Logos ist vorstellbar, undenkbar ist dagegen irgendwelche Beschränkung von Seiten der Menschennatur. Die Vereinigung der Naturen setzt also das freiwillige Niedersteigen des Wortes voraus, was ihr letztes Prinzip bei Gregor ist. In diesem Sinne muss die Einung notwendigerweise heilsgeschichtlich und eine Tat des Logos sein. Das Herabkommen des göttlichen Wortes bedeutet die Gegenwart des Göttlichen im Menschlichen, des Unsterblichen im Sterblichen, des Mächtigen in dem Ohnmächtigen, des Unwandelbaren im Veränderlichen und Verderblichen (to öeiov ev xco avBpœmvcp yevopevov...ev reu TpeJiTco ze Kai (pOeLpopevio xb avaXXoïœxàv xe Kai afOapxov), wie auch umgekehrt, das Sterbliche wurde in das Unsterbliche umgesetzt, das Verderbliche ist zur Unverderblichkeit umgewandelt (to dvrjxbv èv xw àOavaxœ yevopevov adavaoia eyevexo, o/uotcoo de kcci xo <p9apxov eio arpQapoiav pexeßaXe Kai xa aXXa návxa cuoavxcoo Jtpbo xo cuiaQeo xe Kai Oeiov pexejxoirjdr]...), die andere Eigenschaften des Menschlichen sind dem Impassibilen und göttlichen entsprechend ebenso umgestal12. GNO II, 1 S. 151. 13. GNO 111,1 S. 123,12-13.