Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)

Sacra theologia

88 LÁSZLÓ GÁJER schlossen und an den Inhalt der Offenbarung gebunden ist, während der philo­sophische Glaube eine offene Dynamik hat. Dass der christliche Glaube einen solchen existentiellen Charakter haben kann, ist, denke ich, unbestreitbar. Schließlich wollte Jaspers, der als Lutheran in einer bürgerlichen und der Kir­che gegenüber gleichgültigen Familie aufwuchs, den philosophischen Glau­ben nicht dem religiösen annähem. Ich werde versuchen, einige seiner Motive in diesem kurzen Beitrag zu erkunden. I. Die Aufgabe der Philosophie In seinem dreibändigen Werk Philosophie (1932) vertrat Jaspers die Auffas­sung, dass sich die zeitgenössische Philosophie mit dem Sein befassen müsse3. Während die Wissenschaften einen konkreten Gegenstand hätten, „es handelt sich in der Philosophie um das Ganze des Seins”4 5. Auf diese Weise sah er eine Kontinuität zwischen der modernen Philosophie und der europäischen meta­physischen Tradition und glaubte, dass es nur eine ewige Philosophie gibt, die sich über die Jahrhunderte hinweg entfaltet. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich unser Verständnis oder der Umfang der Philosophie im Laufe der Zeit nicht verändert hat. Die mittelalterliche Metaphysik und die moderne Philo­sophie des Seins sind nicht identisch, aber beide versuchen, dieselbe Existenz zu erforschen. Deshalb bleibt die Philosophie dynamisch, weil sie auf die Ge­samtheit der Existenz ausgerichtet ist. „Die Vielfachheit des Philosophierens, die Widersprüche und die sich gegenseitig ausschließenden Wahrheitsansprüche können nicht verhindern, dass im Grunde ein Eines wirkt, das niemand besitzt und um das jederzeit alle ernsten Bemühungen krei­sen: die ewige eine Philosophie, die philosophia perennis“s. Philosophie „weis im Übergangsein der Zeitlichkeit um die Gegenwart und Gleizeitigkeit des wesentlich Wahren, der jederzeit zeittilgenden philosophia perennis“6. In seiner Metaphysik betont Jaspers jedoch, dass sich die Philosophie dem Sein annähem, es aber nicht vollständig erfassen kann. In der Tat muss sie sich ausdrücklich davor hüten, in ihrer Beschäftigung mit dem Sein und ihren Be­mühungen, das Sein zu erfassen, das Sein zu objektivieren. Er öffnet sich der unsterblichen, ewigen Weisheit, indem er sich seiner eigenen Geschichtlich­keit bewusst ist und sich mit endgültigen Aussagen zurückhält, um dem Dauer­3 Vgl. Jaspers, K., Philosophie I. Philosophische Weltorientierung, Berlin 1932. 1. 4 Jaspers, K., Einführung in die Philosophie, München 1953. 10. 5 Jaspers, K., Einführung in die Philosophie, 17. 6 Jaspers, K., Die philosophische Glaube, München 1948. 131.

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