Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)
Sacra theologia
INTERPRETATIONSMÖGLICHKEITEN DES VERHÄLTNISSES... 89 haften eine Stimme zu geben. In diesem Sinne kann die philosophia perennis nicht erfüllt werden, kann ihr Ziel nicht erreichen. „Niergends ist in der Zeit schon gewonnen die philosophia perennis, und doch ist diese stets da in der Idee des Philosophierens”7. Die Philosophie kann nicht mehr tun, als sich der Existenz mit Vorsicht zu nähern. Die Philosophie geht also über die Wissenschaft hinaus. Ihr Gegenstand ist das Umgreifende, das sie nicht in seiner Gesamtheit erfassen kann, sondern sich nur darauf ausrichten kann. In diesem Sinne ist die Philosophie keine Wissenschaft. Diese Frage kann nicht auf wissenschaftliche Weise gestellt oder beantwortet werden. Daraus folgt, dass die Philosophie keine allgemeingültige Beschreibung der Transzendenz liefern kann, sondern vielmehr den Einzelnen dazu einlädt, seine eigene mögliche und potenzielle Existenz zu entdecken8. Metaphysische Systeme können die Existenz nur teilweise beschreiben. Das ist natürlich von großem Wert, aber wir können nicht sagen, dass diese Beschreibungen endgültig sind. Die Philosophie hat einen Anspruch, aber man kann sie nicht als Wissenschaft im engeren Sinne bezeichnen, denn ihr Anspruch geht über die Grenzen der Wissenschaften hinaus. Die Philosophie bleibt offen, denn ihre Aufgabe ist es, den Sprung über die Grenzen zu wagen9. Jaspers wurde 1883 in Oldenburg, Niedersachsen, geboren. Als Kind lebte er in der Nähe der Nordsee, deren Einfluss er später beschrieb: „In meiner Kindheit waren wir alle Jahre auf den friesischen Inseln. Ich bin mit dem Meer aufgewachsen. Zuerst sah ich es in Norderney. An einem Abend ging mein Vater, mit dem kleinen Jungen an der Hand, den weiten Strand hinunter. Es war tiefe Ebbe, der Weg über der frischen reinen Sand war sehr lang bis an das Wasser. Da lagen die Quallen, die Seesterne, Zeichen des Geheimnisses der Meerestiefe. Ich war wie verzaubert, habe nicht darüber nachgedacht. Die Unendlichkeit habe ich damals unreflektiert erfahren. Seitdem ist mir das Meer wie der selbstverständliche Hintergrund des Lebens überhaupt. Das Meer ist die anschauliche Gegenwart des Unendlichen. Unendlich die Wellen. Immer ist alles in Bewegung, nirgends das Feste und das Ganze in der doch fühlbaren unendlichen Ordnung. Das Meer zu sehen, wurde für mich das Herrlichste, das es in der Natur gibt. Das Wohnen, das Geborgensein ist uns unentbehrlich und wohltuend. Aber es genügt uns nicht. Es gibt dieses andere. 7 Jaspers, K., Die philosophische Glaube, 23. 8 Vgl. Copleston, F., A History of Philosophy, XI: Logical Positivsim and Existentialism, London - New Delhi - New York - Sydney 2003. 161. Für Jaspers waren es Kierkegaard und Nietzsche, die ihm die Möglichkeit der menschlichen Existenz in diesem Sinne vor Augen führten. Der Mensch ist eine mit Freiheit ausgestattete Existenz, die der Forschung unzugänglich bleibt und immer über sich selbst hinausgeht. Wenn wir die Frage stellen, was der Mensch ist, dürfen wir nicht an einen bestimmten Gegenstand der Erkenntnis denken, sondern an die Umgreifende, insofern es uns selbst betrifft. Vgl. Jaspers, K., Nietzsche. Einführung in das Verhältnis seines Philosophierens, Berlin - New York 1991. 123-136. 9 Jaspers, K., Philosophie, 13.